Der Name der Rose
eines Hundes hätte, und wenn er jemanden bei sich hat, sieht er ihn mit einem Hundekopf. Und es gibt eine Salbe, die macht, daß alle, die in die Nähe der Lampe kommen, sich riesengroß wie Elefanten wähnen. Und mit den Augen einer Fledermaus und zwei Fischen, deren Namen ich nicht mehr weiß, und dazu einer Wolfsgalle kannst du einen Docht machen, dessen Rauch dich die Tiere sehen läßt, deren Fett du genommen hast. Und mit dem Schwanz einer Eidechse kannst du alle Dinge um dich herum wie aus Silber erscheinen lassen, und mit dem Fett einer schwarzen Schlange und einem Stück Leichentuch erscheint dir das Zimmer ganz voller Schlangen. Ich weiß das. Es gibt da jemanden in der Bibliothek, der ist sehr schlau . . .«
»Aber könnten das nicht die Geister der verstorbenen Bibliothekare sein? Vielleicht veranstalten sie diesen ganzen Zauber mit Lampen und Dochten?«
Nicolas erstarrte wie vom Donner gerührt. »Donnerwetter, daran habe ich nicht gedacht. Vielleicht sind sie es. Gott schütze uns! Aber ich muß mich jetzt sputen. Es ist spät geworden, die Vesper hat schon begonnen. Gehabt euch wohl!« Sprach's und eilte davon in die Kirche.
Wir setzten unseren Rundgang fort. Rechts lagen die Unterkünfte der Pilger und der Kapitelsaal mit dem Garten, links die Olivenpressen, die Mühle, die Speicher, der Weinkeller und das Novizenhaus. Und überall sahen wir Mönche zur Kirche eilen.
60
Der Name der Rose – Erster Tag
»Was haltet Ihr von Nicolas' Worten?« fragte ich William.
»Ich weiß nicht. Sicher ist, daß in der Bibliothek etwas vorgeht, und ich glaube nicht, daß es die Geister der verstorbenen Bibliothekare sind . . .«
»Warum nicht?«
»Weil sie, wie ich annehme, doch wohl so tugendhaft waren, daß sie jetzt eher im Himmel sitzen und das Antlitz der göttlichen Weisheit schauen, wenn dir diese Antwort genügt. Was die Lampen betrifft, so werden wir ja sehen, ob es dort welche gibt. Und was die magischen Salben betrifft, von denen uns unser wackerer Glasermeister erzählt hat, so gibt es einfachere Methoden, um Visionen hervorzurufen, und Severin kennt sie genau, wie du heute bemerkt hast. Sicher ist, daß jemand in dieser Abtei die Mönche partout daran hindern will, nachts in die Bibliothek einzudringen, und daß es viele trotzdem versucht haben.«
»Und das Verbrechen, das wir untersuchen, hat mit diesen Dingen zu tun?«
»Verbrechen? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gelange ich zu dem Schluß, daß Adelmus sich selber umgebracht hat.«
»Wieso?«
»Erinnerst du dich an heute morgen, als wir den Kehrweg unter dem Ostturm hinaufstiegen und ich die Müllhalde sah? An jener Stelle fand ich die Spuren eines kleinen Erdrutsches: Ganz offensichtlich war ein Teil des lockeren Erdreichs, ungefähr dort, wo der Müll sich häufte, abgerutscht und den Steilhang hinuntergeglitten bis unter den Turm. Deswegen erschien uns vorhin, als wir über die Mauer hinunterblickten, der Müll so wenig mit Schnee bedeckt: Er war gerade nur vom Schnee der letzten Nacht überzogen, nicht aber von dem der Tage zuvor. Was nun die Leiche des armen Adelmus betrifft, so hat uns der Abt gesagt, daß sie über scharfe Felsvorsprünge gefallen sein mußte. Doch unter dem Ostturm wachsen Pinien. Die Felsen sind genau an dem Ort, wo die Mauer im Hinterhof an den Turm stößt und der Abfall hinuntergekippt wird.«
»Und weiter?«
»Nun ja, wäre es nicht . . . wie soll ich sagen . . . weniger aufwendig für unser Kombinationsvermögen, wenn wir annähmen, daß Adelmus sich aus Gründen, die noch zu klären sein werden, kraft eigenen Entschlusses von jener Mauerbrüstung gestürzt hat, über die Felsen hinuntergefallen und schließlich, tot oder tödlich verletzt, im Müll gelandet ist? Und daß dann ein Erdrutsch, ausgelöst durch den Sturm jener Nacht, den Müll und einen Teil des Bodens mitsamt dem Körper des Unseligen bis unter den Ostturm gespült hat?«
»Warum sagt Ihr, daß diese Annahme weniger aufwendig für unser Kombinationsvermögen sei?«
»Mein lieber Adson, man soll die Erklärungen und Kausalketten nicht komplizierter machen, als es unbedingt nötig ist. Wenn Adelmus aus dem Ostturm gefallen wäre, müßtejemand in die Bibliothek eingedrungen sein, ihn niedergeschlagen haben, damit er keinen Widerstand leistete, es dann fertiggebracht haben, mit dem leblosen Körper auf den Schultern zu einem Fenstersims hochzuklettern, das Fenster zu öffnen und den Körper schließlich hinauszuwerfen. Bei meiner
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