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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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pflegen die Mönche nicht wieder in ihre Zellen zu gehen, auch wenn es noch dunkel ist. Die Novizen begaben sich mit ihrem Meister in den Kapitelsaal, um gemeinsam die Psalmen zu lernen, einige Mönche blieben gleich in der Kirche, um die geweihten Geräte zu pflegen, die meisten verbrachten die Zeit meditierend im Kreuzgang, und so taten's auch wir. Die Knechte und Diener 67
    Der Name der Rose – Zweiter Tag
    schliefen noch, und sie schliefen weiterhin fest, als wir uns, bei immer noch dunklem Himmel, zu Laudes erneut in den Chor begaben.
    Wieder begann das Singen der Psalmen. Doch einer von ihnen, einer der für den Montag
    vorgeschriebenen, weckte diesmal mein Unbehagen aufs neue, hieß es doch da: »Die Sünde erfaßt den Gottlosen in seinem Herzen, keine Gottesfurcht ist in seinen Augen – voller Hinterlist handelt er, seine Worte sind schädlich und erlogen – Übles sinnt er auf seinem Lager und stehet fest auf dem bösen Weg und scheuet kein Arges!« Ein schlimmes Omen schien es mir, daß die Regel des heiligen Benedikt gerade für diesen Tag eine so dräuende Mahnung vorschrieb. Auch die anschließende Lesung aus der Apokalypse konnte mich nicht beruhigen, sondern erinnerte mich an die Figuren des Kirchenportals, die mir am Vortag das Herz und den Blick so schwer gemacht hatten. Doch nach dem Responsorium, dem Ambrosianischen Hymnus und dem Vers, als der Cantus des Evangeliums gerade begann, gewahrte ich hinter den Fenstern des Chores, genau über dem Altar, einen schwachen Schimmer, der die herrlichen Farben der Gläser, die bis dahin im Dunkel gelegen hatten, erstmals aufleuchten ließ. Es war noch längst nicht die Morgenröte, die erst während der Prima durchbrechen sollte, genau am Ende der Gesänge Deus qui est sanctorum splendor mirabilis und Iam lucis orto sidere . Es war nur der erste zaghafte Vorschein der winterlichen Morgendämmerung. Doch er genügte, die Farben aufleuchten zu lassen – und damit zugleich den leichten Schatten aus meinem Gemüt zu vertreiben, der nun im Kirchenschiff anfing, als Zwielicht an die Stelle des nächtlichen Dunkels zu treten.
    Wir sangen gerade die ersten Worte des Evangeliums, und als wir das Verbum bezeugten, das da gekommen ist, den Menschen Leben und Licht zu sein, schien mir, als breche das Tagesgestirn in all seinem Glänze hervor. Mich dünkte, das Licht (das noch gar nicht da war) leuchtete auf in den Worten des Cantus gleich einer mystischen Lilie, die wohlriechend sich entfaltete zwischen den Bögen des hohen Gewölbes, und ich betete stumm: »Dank dir, oh Herr, für diesen Augenblick unbeschreiblicher Freude!« Und zu meinem verzagten Herzen sagte ich: »Törichtes Ding, was fürchtest du noch?«
    In diesem Moment erhob sich ein großer Lärm vor dem Nordportal draußen im Hof. Ich fragte mich, wie die Knechte es wagen konnten, derart das fromme Gebet der Mönche zu stören, denn zweifellos waren es Knechte auf dem Wege zu ihrer Arbeit. Da wurde auch schon die Tür aufgerissen, und hereingestürzt kamen drei Schweinehirten mit schreckverzerrten Gesichtern, eilten zum Abt und flüsterten ihm etwas zu. Der wies sie mit einer Geste zur Ruhe, um den Gottesdienst nicht unterbrechen zu müssen, doch schon folgten andere, und das Geschrei wurde lauter. »Ein Mensch, es ist ein toter Mensch!« rief einer erregt, und andere schrien dazwischen: »Ein Mönch! Hast du nicht das Schuhwerk gesehen?«
    Die Betenden hielten inne, der Abt stürzte eilends zur Tür und hieß den Cellerar, ihm zu folgen. William heftete sich an seine Fersen, doch schon erhoben sich auch die anderen Mönche und strömten hinaus.
    Der Himmel war klar und wolkenlos, im Osten tagte es, und die weiße Schneedecke ließ das Gelände noch heller erscheinen. Hinter der Kirche, im Hof vor den Ställen, drängten sich Männer um den großen Bottich mit Schweineblut, der seit dem Vortag dort stand. Über den Rand des Bottichs ragte ein seltsam längliches Etwas, x-förmig und schief, als wären es zwei überkreuzte Stangen, wie man sie auf den Feldern in den Boden steckt und mit Lumpen behängt, um die Vögel zu schrecken.
    Es waren indes zwei menschliche Beine: die Beine eines kopfüber in den Bottich gestürzten Mannes.
    Der Abt befahl, daß man die Leiche (denn nur eine Leiche konnte es sein: kein Lebender hätte in einer so widernatürlichen Stellung so lange ausgehalten) aus der eklen Flüssigkeit ziehe. Widerwillig, doch folgsam traten die Schweinehirten an den Kübelrand und hievten den

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