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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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haben.«
    Schon früher hatte ich William mit großer Skepsis von den allgemeinen Ideen sprechen hören und mit großem Respekt von den einzelnen Dingen. Und damals wie in den folgenden Tagen schien mir, daß diese Neigung sowohl mit seiner britannischen Herkunft als auch mit seinem Franziskanertum zu tun hatte. An diesem Tage jedoch war er zu erschöpft, um sich auf theologische Dispute einzulassen, und so verzog ich mich in meinen Winkel, hüllte mich in meine Decke und versank alsbald in einen tiefen Schlaf.
    Wäre jemand hereingekommen, er hätte mich für ein lebloses Bündel halten können. Und das tat denn wohl auch der Abt, als er um die dritte Stunde in unsere Zelle trat, um mit William zu sprechen. So kam es, daß ich unbemerkt ihr erstes Gespräch mitanhören konnte – ohne Arglist und böse Absicht, denn es wäre, nachdem ich nun einmal aufgewacht war, gewiß unhöflicher gewesen, mich dem Besucher plötzlich zu offenbaren, als in Demut still zu verharren, wie ich es tat.
     
    Eintrat also Pater Abbo, der Abt. Er entschuldigte sich für die Störung, erneuerte seinen Willkommensgruß und sagte, er müsse mit William unter vier Augen sprechen über eine sehr ernste Sache.
    Zunächst aber wolle er ihn beglückwünschen zu der Geschicklichkeit seines Verhaltens in der Geschichte mit dem Pferd, wie er das bloß angestellt habe, so genaue Angaben über ein Tier zu machen, das er niemals zuvor gesehen. William erklärte ihm knapp und ohne viel Aufhebens seinen Gedankengang, und der Abt zeigte sich aufs höchste erfreut über soviel Scharfsinn. Freilich habe er auch nichts anderes erwartet von einem Manne, dem der Ruf so großer Klugheit vorangehe. Im übrigen habe er einen Brief vom Abt in Farfa erhalten, in dem nicht nur von der Mission die Rede sei, mit welcher William vom Kaiser betraut worden (und über die in den nächsten Tagen noch zu sprechen sein werde), sondern auch davon, daß mein kluger Meister in England und Italien als Inquisitor tätig gewesen sei und sich in einer Reihe von Prozessen durch große Klarsicht in Verbindung mit großer Menschlichkeit hervorgetan habe.
    »Sehr gefreut hat es mich zu erfahren«, fügte Abbo hinzu, »daß Ihr Euch in zahlreichen Fällen für die Unschuld des Angeklagten entschieden habt. Gewiß glaube ich – und in diesen schlimmen Zeiten mehr denn je – an die Präsenz des Bösen in allen menschlichen Dingen«, und bei diesen Worten blickte er sich unwillkürlich um, als vermutete er den bösen Feind in einem Winkel der Zelle, »aber ich glaube auch, daß der Böse oft über Umwege tätig wird. Und ich weiß, daß er seine Opfer dazu zu bringen vermag, ihre Untaten so zu vollführen, daß die Schuld auf einen Gerechten fällt, wobei es ihm dann ein besonderes Vergnügen ist, den Gerechten anstelle des Sukkubus brennen zu sehen. Leider sind viele Inquisitoren bemüht, ihren Eifer unter Beweis zu stellen und dem Angeklagten um jeden Preis ein Geständnis zu entlocken, weil sie meinen, ein guter Inquisitor sei nur, wer jeden Prozeß mit einem Schuldspruch beendet …«
    »Auch Inquisitoren können Werkzeuge des Teufels sein«, warf William ein.
    »Schon möglich«, gab Abbo vorsichtig zu, »denn die Pläne des Allerhöchsten sind unerforschlich. Doch liegt es mir fern, auch nur den Schatten eines Verdachts auf so wohlverdiente Männer zu werfen. Im Gegenteil, ich wende mich heute an Euch als einen von ihnen. In dieser Abtei ist nämlich etwas geschehen, das die Aufmerksamkeit und den Rat eines Mannes von Eurem Scharfsinn und Eurer Umsicht erheischt. Von Eurem Scharfsinn, um es aufzuklären, und von Eurer Umsicht, um es hernach (gegebenenfalls) wieder gnädig zuzudecken. Denn oft kommt man nicht umhin, die Schuld eines Mannes herauszufinden, der ein Vorbild an Heiligkeit sein sollte, aber dabei so vorzugehen, daß man den Grund des Übels beseitigen kann, ohne den Schuldigen damit der öffentlichen Verachtung preiszugeben. Wenn ein Hirte fehlgeht, muß er von den anderen Hirten isoliert werden. Aber wehe, wenn die Herde an ihren Hirten zu zweifeln begönne.«
    »Ich verstehe«, sagte William. Bereits bei früheren Gelegenheiten hatte ich bemerkt, daß er, wenn er sich so verständnisvoll äußerte, in dieser höflichen Formel meist einen Dissens oder jedenfalls ein Erstaunen verbarg.
    »Deswegen«, fuhr der Abt fort, »bin ich der Meinung, daß Fälle, die den Fehltritt eines Hirten betreffen, stets nur Männern wie Euch anvertraut werden sollten – Männern, die

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