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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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…«
    »Ihr wollt also sagen«, fragte der Abt ein wenig beunruhigt, »daß in vielen Prozessen der Teufel nicht nur im Schuldigen sein Unwesen treibe, sondern womöglich auch und vor allem in den Richtern?«
    »Wie könnte ich wagen, so etwas zu behaupten?« fragte William zurück, und die Frage war offenkundig so formuliert, daß der Abt verstummen mußte – woraufhin William sein Schweigen nutzte, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben. »Im Grunde sind das doch längst vergangene Dinge. Ich habe jene noble Tätigkeit aufgegeben, und wenn ich es tat, so war es der Wille des Herrn …«
    »Ohne Zweifel«, gab Abbo zu.
    »… und nun beschäftige ich mich mit anderen delikaten Fragen. Und gern würde ich mich mit der beschäftigen, die Euch quält, wenn Ihr mir sagen würdet, um was es geht.«
    Wie mir schien, war es dem Abt ganz recht, die Diskussion beenden und auf sein Problem kommen zu können. Jedenfalls begann er nun umständlich und mit großer Vorsicht in der Wahl seiner Worte von einem seltsamen Vorfall zu berichten, der sich wenige Tage vor unserer Ankunft zugetragen und, wie er sagte, große Unruhe unter den Mönchen ausgelöst habe. Wenn hier davon die Rede sein solle, so im Wissen, daß William ein großer Kenner der menschlichen Seele und der Wege des Bösen sei, und daher in der Hoffnung, daß er vielleicht einen Teil seiner kostbaren Zeit damit verbringen möge, Licht zu bringen in eine sehr dunkle und schmerzliche Sache. Vorgefallen sei nämlich, daß Bruder Adelmus von Otranto, ein Mönch von noch jungen Jahren, aber gleichwohl schon bekannt als exzellenter Miniaturenmaler, der die Manuskripte der Klosterbibliothek mit wunderbaren Vignetten zu schmücken pflegte, eines Morgens von einem Ziegenhirten tot auf dem Grunde der Schlucht unter dem Ostturm des Aedificiums gefunden worden sei. Da die anderen Mönche ihn während der Komplet im Chor noch gesehen, nicht aber mehr bei der Frühmette, müsse er wohl in den dunkelsten Stunden der Nacht in die Tiefe gestürzt sein. Es sei eine stürmische Nacht gewesen, eisige Schneeflocken, hart wie Hagelkörner, seien von einem scharfen Nordwind durch die Luft gewirbelt worden. Durchnäßt vom Schnee, der erst getaut und dann zu Eisklumpen gefroren sei, habe man schließlich die Leiche des Unglücklichen am Fuße des Steilhangs gefunden, aufgeschürft von den Felsvorsprüngen, über die er hinabgestürzt. Ein elender und schlimmer Tod, Gott möge sich seiner erbarmen. Wegen der vielen Stöße, die der Körper offensichtlich beim Sturz erlitten, sei es nicht leicht gewesen, den Punkt zu bestimmen, von dem er gefallen sein mußte. Sicher aber aus einem der Fenster, die sich in drei Reihen an drei Seiten des großen Turmes zum Abgrund öffneten.
    »Wo habt Ihr den Toten begraben?« fragte William.
    »Auf dem Friedhof natürlich«, antwortete der Abt. »Ihr habt ihn vielleicht gesehen, er erstreckt sich neben dem Garten von der Nordseite der Kirche zum Aedificium.«
    »Ich verstehe«, sagte William, »und ich begreife nun Euer Problem. Wenn der Ärmste, Gott behüte, Selbstmord begangen hätte (denn es war ja kaum anzunehmen, daß er aus Versehen hinuntergefallen ist), so hättet Ihr am folgenden Morgen eins dieser Fenster offen vorfinden müssen, aber Ihr fandet sie alle wohlverschlossen, und vor keinem von ihnen fanden sich Wasserspuren.«
    Wie ich bereits gesagt habe, war der Abt ein Mann von großer Selbstbeherrschung und diplomatischer Unerschütterlichkeit, aber diesmal konnte er seine Überraschung nicht verbergen und schaute so verblüfft drein, daß ihm keine Spur von jener Würde blieb, die sich laut Aristoteles einem ernsthaften und gesetzten Manne ziemt. »Wer hat Euch das gesagt?«
    »Nun, Ihr selbst habt es mir gesagt«, erwiderte William. »Wäre ein Fenster offengestanden, so hättet Ihr doch gleich angenommen, daß der Unglückliche sich hinabgestürzt haben mußte. Nach dem, was ich von außen sehen konnte, handelt es sich um große Fenster mit Butzenscheiben, und Fenster dieser Art pflegen sich in Mauern von solcher Stärke gewöhnlich nicht auf ebener Erde zu öffnen. Hättet Ihr also eines von ihnen offen gefunden, so wäre Euch – da auszuschließen war, daß der Unglückliche sich hinausgebeugt und dabei das Gleichgewicht verloren hatte – nur der Gedanke an Selbstmord geblieben. Und in diesem Falle hättet Ihr ihn nicht in geweihter Erde begraben. Da Ihr ihn aber christlich begraben habt, müssen die Fenster geschlossen gewesen

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