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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nicht nur gut und böse zu unterscheiden wissen, sondern auch opportun und nichtopportun. Es freut mich, daß Ihr immer nur dann verurteilt habt, wenn …«
    »… der Angeklagte schlimme Verbrechen begangen hatte wie Vergiftungen, Verführung unschuldiger Kinder und andere Verruchtheiten, die auszusprechen meine Lippen nicht wagen …«
    »… daß Ihr immer nur dann verurteilt habt«, fuhr der Abt unbeirrt von der Unterbrechung fort, »wenn die Präsenz des Dämons so offenkundig für jedermann war, daß man nicht anders hätte verfahren können, da Nachsicht skandalöser gewesen wäre als das Verbrechen selbst.«
    »Wenn ich jemanden schuldig gesprochen habe«, präzisierte William, »dann weil er tatsächlich Verbrechen so schlimmer Art begangen hatte, daß ich ihn guten Gewissens dem weltlichen Arm überlassen konnte.«
    Der Abt schien ein wenig verunsichert. »Warum sprecht Ihr so beharrlich von schlimmen Verbrechen, ohne Euch zu ihren teuflischen Ursachen äußern zu wollen?«
    »Weil das Schlußfolgern von den Wirkungen auf die Ursachen eine so schwierige Sache ist, daß allein Gott der Richter sein kann. Uns Menschen fällt es bereits dermaßen schwer, einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen zwischen einer so offenkundigen Wirkung wie etwa dem Brand eines Baumes und dem Blitz, der ihn verbrannte, daß der Versuch, lange Ketten von Ursachen und Wirkungen zu konstruieren, mir ebenso wahnhaft erscheint wie der Versuch, einen Turm zu bauen, der bis zum Himmel reicht.«
    »Der Doktor von Aquin«, gab Abbo zu bedenken, »scheute sich nicht, mit der Kraft seiner bloßen Vernunft die Existenz des Allerhöchsten zu beweisen, indem er von einer causa zur anderen zurückging bis zu der durch nichts verursachten causa prima .«
    »Wer bin ich«, erwiderte demütig Bruder William, »daß ich dem hochgelahrten Aquinaten widersprechen könnte? Auch wird ja sein Beweis der Existenz Gottes durch so viele andere Zeugnisse unterstützt, daß seine Argumentation sich von alledem nur bestärkt sieht. Gott spricht zu uns im Innersten unserer Seele, wie bereits Augustinus wußte, und Ihr, Abbo, hättet das Lob des Herrn gesungen und die Evidenz seiner Gegenwart anerkannt, auch wenn der große Thomas nicht …« Er unterbrach sich und fugte hinzu: »So denke ich jedenfalls.«
    »Oh, gewiß doch«, beeilte der Abt sich zu versichern – und in dieser sehr feinen Weise beendete mein kluger Meister eine scholastische Diskussion, die ihn sichtlich nicht sehr zu reizen vermochte. Dann ergriff er wieder das Wort:
    »Kommen wir auf die Prozesse zurück. Stellt Euch vor, ein Mann ist durch Vergiftung getötet worden. Das ist eine empirische Tatsache. Angesichts gewisser untrüglicher Zeichen kann ich mir durchaus vorstellen, daß ein anderer Mann die Vergiftung verursacht hat. An derart einfachen Ketten von Wirkung und Ursache kann mein Verstand sich mit einem gewissen Selbstvertrauen entlangbewegen und den Giftmischer dingfest zu machen versuchen. Wie aber kann ich die Kette nun dadurch komplizieren, daß ich mir als Anstifter der bösen Tat eine weitere, diesmal nicht menschliche, sondern teuflische Kraft vorstelle? Nicht daß dergleichen unmöglich wäre, auch der Teufel hinterläßt klare Zeichen auf seinem Weg, wie es Euer Rappe Brunellus tat. Aber warum sollte ich danach suchen? Genügt es nicht, wenn ich weiß, daß der Schuldige dieser bestimmte Mensch ist, um ihn dem weltlichen Arm zu übergeben? In jedem Falle wird er für seine Tat mit dem Tode bestraft, Gott möge ihm vergeben.«
    »Aber mich dünkt, daß Ihr bei einem Prozeß vor drei Jahren in Kilkenny, bei dem mehrere Personen schändlichster Untaten angeklagt waren, den Eingriff des Teufels durchaus nicht geleugnet habt, nachdem die Schuldigen einmal gefunden waren.«
    »Aber ich habe ihn auch nicht mit offenen Worten behauptet. Ich habe ihn nicht geleugnet, das ist wahr. Wer bin ich denn, daß ich mir Urteile über das Wirken des Bösen erlauben dürfte? Zumal in Fällen« – und auf diesem Gedanken schien William insistieren zu wollen – »in denen jene, die das Inquisitionsverfahren eröffnet haben, der Bischof, die Richter der Stadt und das ganze Volk, vielleicht sogar die Beschuldigten selbst den Nachweis einer Präsenz des Bösen offenbar sehnlichst wünschen? Vielleicht ist das überhaupt der einzige wahre Beweis für das Wirken des Teufels: die Intensität, mit welcher alle Beteiligten in einem bestimmten Augenblick danach verlangen, ihn am Werk zu sehen

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