Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
ob er tatsächlich erbleichte, doch ich erwartete es so heftig, daß ich ihn erbleichen sah.
    »Du fragst mich Dinge, die ich gewiß schon dem Abt gesagt hätte, wenn ich sie wüßte«, antwortete er demütig. »In jedem Fall werde ich dir nichts verschweigen, was mir zu Ohren kommt, wenn diese Dinge, wie ich annehme, deiner Untersuchung förderlich sind … Jetzt, wo du mich darüber nachdenken läßt, fällt mir auch etwas zu deiner ersten Frage ein. In der Nacht, als der arme Adelmus starb, hatte ich eine Zeitlang im Hof hinter der Küche zu tun … wegen einer Hühnergeschichte, weißt du, ich hatte gerüchteweise gehört, daß ein gewisser Hufschmied sich nachts in den Hühnerstall schlich, um zu stehlen … Tja, und während ich da im Hof auf ihn lauerte, sah ich zufällig – von weitem, ich kann nichts beschwören – wie Berengar ins Dormitorium ging, und zwar hinter dem Chor vorbei, als wäre er gerade aus dem Aedificium gekommen … Das überraschte mich nicht besonders, denn unter den Mönchen wurde schon länger über Berengar gemunkelt, du weißt schon, was …«
    »Nein, sag es mir.«
    »Nun ja, Berengar wurde verdächtigt, wie soll ich sagen … gewissen Leidenschaften zu frönen, die … die nicht schicklich sind für einen Mönch …«
    »Willst du mir damit andeuten, daß er Beziehungen zu Dorfmädchen unterhielt, Beziehungen wie die eben erwähnten?«
    Der Cellerar hüstelte verlegen und verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen: »Oh nein … seine Leidenschaft war noch unschicklicher.«
    »Meinst du etwa, daß ein Mönch, der sich fleischlich mit armen Dorfmädchen vergnügt, irgendwie schicklichen Leidenschaften frönt?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Aber du selbst lehrst doch, daß es unter den Verirrungen, wie unter den Tugenden, eine gewisse Hierarchie gibt. Das Fleisch kann gemäß der Natur versucht werden und … wider die Natur.«
    »Soll das heißen, daß Berengars Leidenschaft ein fleischliches Verlangen nach Angehörigen seines eigenen Geschlechts war?«
    »So jedenfalls wurde gemunkelt … Ich erzähle dir diese Dinge nur zum Beweis meiner Ehrlichkeit und meines guten Willens …«
    »Und ich danke dir dafür. Auch ich bin der Ansicht, daß die Sünde der Sodomie beträchtlich schlimmer ist als andere Formen der Wollust … Formen, die ich hier gar nicht näher untersuchen will …«
    »Welch ein Jammer, wenn auch sie sich bewahrheiten sollten«, sagte der Cellerar philosophisch.
    »Welch ein Jammer, Remigius. Wir Menschen sind allzumal Sünder. Nie würde ich den Splitter im Auge des Bruders suchen, zu sehr furchte ich, einen Balken in dem meinen zu haben! Aber ich werde dir danken für alle Balken, auf die du mich künftig hinweisen wirst. So werden wir uns über große und mächtige Baumstämme unterhalten und die Splitter auf sich beruhen lassen. Wieviel, sagtest du, ist ein Trabucco?«
    »Sechsunddreißig Quadratfuß. Aber tu dir keinen Zwang an, frag mich ruhig weiter, wenn du etwas Präzises wissen willst. Rechne in mir auf einen treuen Freund.«
    »Als solchen betrachte ich dich bereits«, sagte William herzlich. »Wie ich von Ubertin weiß, gehörtest du früher einmal zu meinem Orden. Nie würde ich einen ehemaligen Mitbruder verraten – schon gar nicht in diesen Tagen, da wir eine päpstliche Legation erwarten unter der Führung eines berüchtigten Inquisitors, der schon so viele Dolcinianer verbrannt hat. Sechsunddreißig Quadratfuß, sagtest du, ist ein Trabucco?«
    Der Cellerar war kein Dummkopf. Er begriff, daß es keinen Sinn mehr hatte, weiterhin Katz und Maus zu spielen, zumal er nun merkte, daß er selber die Maus war.
    »Bruder William, ich sehe, daß du viel mehr weißt, als ich gedacht hatte. Verrate mich nicht, und ich werde dich auch nicht verraten. Ja, es ist wahr, ich bin ein erbärmlicher Sünder und erliege zuweilen den Verlockungen des Fleisches. Salvatore hat mir erzählt, daß er heute nacht von dir oder deinem Novizen in der Küche überrascht worden ist. Du bist viel in der Welt herumgekommen, Bruder William, du weißt, daß nicht einmal die Kardinäle zu Avignon Muster an Tugend sind, und mir ist schon klar, daß du mich nicht wegen dieser erbärmlichen kleinen Sünden verhörst. Aber ich begreife auch, daß du etwas über mein früheres Leben erfahren hast. Es war ein sehr wirres Leben, wie es oft vorkam bei uns Minoriten. Ich glaubte einst an das Ideal der Armut und verließ die Gemeinschaft der Klosterbrüder, um ein freies Vagantenleben zu

Weitere Kostenlose Bücher