Der Name der Rose
Dann wandte er sich an Benno: »Es trifft sich, daß du gestern gerade zum Bibliothekarsgehilfen ernannt worden bist. Kümmere dich um die Öffnung des Skriptoriums und achte darauf, daß niemand allein in die Bibliothek hinaufgeht.« Benno wies schüchtern darauf hin, daß er noch nicht in die Geheimnisse jenes Ortes eingeweiht worden sei. Der Abt sah ihn kalt und streng an: »Niemand hat gesagt, daß du es werden wirst. Sorge dafür, daß die Arbeit nicht unterbrochen wird, und daß man sie als Gebet für die toten Brüder verrichte … und für alle, die noch sterben werden. Jeder arbeite nur mit den Büchern, die er bereits auf dem Tische hat. Wer will, mag den Katalog konsultieren. Mehr nicht. Du bist entbunden vom Vespergebet, denn zu jener Stunde wirst du das Aedificium verschließen.«
»Und wie komme ich dann heraus?«
»Richtig. Ich werde die Türen später verschließen. Geh!«
Benno ging mit den anderen hinaus, wobei er William vermied, der ihn sprechen wollte. Im Chor blieben nur noch, als Grüppchen um Alinardus versammelt, die »Italiener« Pacificus von Tivoli, Aymarus von Alessandria und Petrus von Sant'Albano. Aymarus grinste.
»Gott sei Dank«, sagte er, »ich dachte schon, wir bekämen jetzt nach dem Tode des Deutschen noch einen barbarischeren Bibliothekar.«
»Wer, meint Ihr, wird zu seinem Nachfolger bestimmt?« fragte William.
Petrus von Sant'Albano lächelte undurchsichtig. »Nach allem, was hier in den letzten Tagen geschehen ist«, sagte er, »ist das Problem nicht mehr der Bibliothekar, sondern der Abt …«
»Sei still!« fuhr ihn Pacificus an. Und Alinardus mummelte, wie üblich mit abwesendem Blick: »Sie werden ein weiteres Unrecht begehen … wie damals, zu meiner Zeit … Man muß sie aufhalten.«
»Wen?« fragte William. Pacificus nahm ihn vertraulich beim Arm und zog ihn zum Ausgang.
»Alinardus … du weißt ja, wir mögen ihn sehr, er repräsentiert für uns die Traditionen von einst und die besseren Tage dieser Abtei. Aber … nun ja, manchmal redet er, ohne zu wissen, was er sagt. Wir alle sind sehr besorgt wegen des neuen Bibliothekars, er muß würdig und reif sein, und gelehrt …«
»Muß er Griechisch können?« fragte William.
»Natürlich, und Arabisch, so will es die Tradition, so verlangt es sein Amt. Aber es gibt hier viele mit diesen Gaben. Meine Wenigkeit zum Beispiel, und Petrus, und Aymarus.«
»Kann Benno Griechisch?«
»Benno ist zu jung. Ich weiß nicht, wieso ihn Malachias gestern zu seinem Gehilfen auserwählt hat, aber …«
»Konnte Adelmus Griechisch?«
»Ich glaube nicht, nein, bestimmt nicht.«
»Aber Venantius konnte Griechisch. Und Berengar … Gut, ich danke dir.«
Wir gingen hinaus, um in der Küche eine Kleinigkeit zu uns zu nehmen.
»Warum wollt Ihr wissen, wer alles Griechisch kann?« fragte ich meinen Meister.
»Weil alle, die hier mit schwarzen Fingern sterben, Griechisch können. Es wäre also nicht falsch, die nächste Leiche unter den Kennern des Griechischen zu erwarten. Inklusive meiner Person. Du bist in Sicherheit.«
»Und was denkt Ihr über die letzten Worte des Bibliothekars?«
»Du hast ja gehört. Die Skorpione. Wenn die fünfte Posaune ertönt, werden unter anderem, wie du weißt, Heuschrecken kommen, um die Menschen zu quälen mit Stacheln gleich denen von Skorpionen … Außerdem sagte Malachias, daß ihn jemand gewarnt hatte.«
»Bei der sechsten Posaune«, überlegte ich, »kommen Rosse, und die daraufsitzen, haben feurige und bläuliche und schweflige Panzer an, und die Häupter der Rosse sind wie Löwenhäupter, und aus ihren Mäulern geht Feuer und Rauch und Schwefel …»
»Zu viele Dinge. Aber es könnte sein, daß der nächste Mord bei den Pferdeställen geschieht. Behalten wir sie im Auge. Und bereiten wir uns auf die siebente Posaune vor … Noch zwei Leichen also. Wer sind die wahrscheinlichsten Kandidaten? Wenn es um das Finis Africae geht, wohl diejenigen, die es kennen. Und meines Wissens kennt es jetzt nur noch der Abt. Aber vielleicht steckt auch noch etwas anderes dahinter. Du hast ja vorhin gehört, die Italiener schmieden Komplotte gegen den Abt. Allerdings sprach Alinardus im Plural …«
»Wir müssen den Abt warnen!« sagte ich.
»Wovor? Daß er umgebracht werden soll? Dafür haben wir keine Beweise. Ich gehe immer so vor, als ob der Mörder genauso denken würde wie ich. Aber was, wenn er nun ganz anderen Denkmustern folgt? Und vor allem, wenn es nicht ein Mörder ist?«
»Was meint
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