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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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jahrelanger Übung, einträchtig wie ein Herz und eine Seele.
    Der Abt intonierte das Sederunt principes :
     
    Sederunt principes
    et adversus me
    loquebantur, iniqui
    persecuti sunt me.
    Adjuva me, Domine
    Deus meus, salvum me
    fac propter magnam misericordiam tuam. 99
     
    Ich fragte mich, ob der Abt dieses Graduale wohl bewußt ausgesucht hatte für diesen Morgen, an welchem die Abgesandten jener Fürsten und Machthaber (die da saßen und gegen uns sprachen, uns verfolgend in ihrer Bosheit) noch unter uns weilten, gleichsam um sie daran zu erinnern, wie unerschütterlich unser Orden seit Jahrhunderten den Verfolgungen durch die Mächtigen standgehalten hatte dank seines besonderen Verhältnisses zu Gott, dem Herrn der Heerscharen. In der Tat weckte der Anfang des Gesanges einen Eindruck von großer Kraft.
    Langsam und feierlich begann auf der ersten Silbe se ein mächtiger Chor von Dutzenden und Aberdutzenden tiefer Stimmen, deren gleichbleibender Grundton das Kirchenschiff füllte und sich hoch über unsere Köpfe erhob, wiewohl er aus dem Herzen der Erde zu kommen schien. Auch brach er nicht ab, als andere Stimmen einsetzten, um über diesem tiefen und kontinuierlichen Halteton eine Reihe von Vokalisen und Melismen zu knüpfen, sondern blieb – gleichsam tellurisch – so lange liegen, wie ein geübter Vorsänger braucht, um getragen und mit vielen Kadenzen zwölfmal das Ave Maria zu singen. Und wie befreit durch das Grundvertrauen, das jene beharrlich ausgehaltene Silbe – Allegorie der ewigen Dauer – den Sängern einflößte, errichteten andere Stimmen, insbesondere die der Novizen, auf diesem festen Felsengrunde nun Säulen und Giebel und Zinnen aus liqueszierenden und subpunktierten Neumen. Und während mein Herz vor Wonne erbebte beim raschen Auf und Ab eines Climacus oder Porrectus, eines Torculus oder Salicus, dünkte mich, als wollten mir jene Stimmen bedeuten, daß die Seele (der Singenden wie derer, die ihnen lauschten) dem Überschwang der Gefühle nicht standzuhalten vermag und aufbricht, um Freude, Schmerz, Lobpreis und Liebe auszudrücken im beglückenden Rausch dieser Klangesfülle. Indessen ließ das beharrliche Grollen der chthonischen Stimmen nicht nach, als wollten sie sagen, daß die Feinde, die dem Gottesvolk nachstellen, stets gegenwärtig bleiben. Bis schließlich jenes neptunische Brausen eines einzigen tiefen Haltetons besiegt, oder jedenfalls gebändigt und übertönt wurde durch den hallelujatischen Jubel der Oberstimmen, um sich aufzulösen in einem majestätischen, vollendet reinen Akkord mit abschließendem Resupinus.
    Nachdem das sederunt derart ausgesprochen, ja fast mit dumpfer Qual herausgepreßt worden war, erklang nun das principes in großer seraphischer Ruhe. Ich fragte mich nicht mehr, wer jene Fürsten sein mochten, die da saßen und gegen mich sprachen als böse Verfolger, denn verschwunden und aufgelöst war das bedrohliche, alptraumhafte Phantom.
    Auch andere Phantome, so schien mir, lösten sich auf in diesem Moment, denn als ich jetzt erneut hinübersah zum Platz des Bibliothekars, von dem mich der hehre Gesang eine Zeitlang abgelenkt hatte, erblickte ich die Gestalt des Vermißten zwischen den Sängern, als hätte sie nie gefehlt. Ich schaute zu William und gewahrte eine Spur von Erleichterung in seinen Augen – die gleiche, die ich nun auch drüben in den Augen des Abtes bemerkte. Was Jorge betraf, so hatte er seine tastende Hand, als sie den Leib des Nachbarn berührte, rasch wieder zurückgezogen. Welche Gefühle ihn durchströmten, vermag ich allerdings nicht zu sagen.
    Festlich erklang nun das adjuva me , dessen klares a sich hell durch die Kirche verbreitete, und auch das u erschien nicht mehr so düster wie eben noch das von sederunt , sondern war jetzt erfüllt von heiliger Kraft. Die Mönche und Novizen sangen, wie es den Regeln des Singens entsprach, mit hochaufgerichtetem Oberkörper, die Kehle frei, den Blick nach oben, das Buch vor sich haltend in Schulterhöhe, so daß sie die Neumen lesen konnten, ohne durch ein Senken des Kopfes das Entströmen der Luft aus ihrer Brust zu vermindern. Doch es war noch sehr früh am Morgen, es war noch vollkommen dunkel draußen, und trotz der Jubelklänge waren die Sänger noch schläfrig, so daß manche von ihnen, womöglich gerade in einen lang ausgehaltenen Ton versenkt oder sich forttragen lassend von der Welle des Klanges, zuweilen den Kopf nach vorn kippen ließen, von der Müdigkeit übermannt. Weshalb

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