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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wenn es von Übel ist, daß ein Mönch gewisse Bücher anrührt, warum sollte der Teufel dann diesen Mönch daran hindern, Übles zu tun?«
    »Ein gutes Enthymem«, gab William zu.
    »Und schließlich noch etwas: Als ich vor einiger Zeit die Fenster im Hospital reparierte, habe ich ein bißchen in Severins Büchern geblättert, und da war ein Buch der Geheimnisse, ich glaube von Albertus Magnus, an dem mich ein paar seltsame Miniaturen reizten, und da habe ich eine Seite gelesen, auf der geschrieben stand, womit man den Docht einer Öllampe einreiben kann, so daß er Visionen macht, wenn man den Rauch einatmet. Du wirst bemerkt haben (oder vielmehr, du wirst es noch nicht bemerkt haben, weil du noch keine Nacht in unserer Abtei verbracht hast), daß der Oberstock des Aedificiums in der Nacht irgendwie erleuchtet ist, jedenfalls scheint aus den Fenstern an manchen Stellen ein flackerndes Licht. Viele haben sich schon gefragt, was das sein mag, manche haben von Irrlichtern gesprochen, andere von den Seelen der früheren Bibliothekare, die an den Ort ihres einstigen Wirkens zurückkehren. Viele glauben hier so was. Ich glaube eher, daß es Lampen sind, die jemand präpariert hat, so daß sie Visionen machen. Weißt du, wenn du zum Beispiel das Ohrenschmalz eines Hundes nimmst und den Docht damit einreibst, dann meint jeder, der den Rauch einatmet, daß er den Kopf eines Hundes hätte, und wenn er jemanden bei sich hat, sieht er ihn mit einem Hundekopf. Und es gibt eine Salbe, die macht, daß alle, die in die Nähe der Lampe kommen, sich riesengroß wie Elefanten wähnen. Und mit den Augen einer Fledermaus und zwei Fischen, deren Namen ich nicht mehr weiß, und dazu einer Wolfsgalle kannst du einen Docht machen, dessen Rauch dich die Tiere sehen läßt, deren Fett du genommen hast. Und mit dem Schwanz einer Eidechse kannst du alle Dinge um dich herum wie aus Silber erscheinen lassen, und mit dem Fett einer schwarzen Schlange und einem Stück Leichentuch erscheint dir das Zimmer ganz voller Schlangen. Ich weiß das. Es gibt da jemanden in der Bibliothek, der ist sehr schlau …«
    »Aber könnten das nicht die Geister der verstorbenen Bibliothekare sein? Vielleicht veranstalten sie diesen ganzen Zauber mit Lampen und Dochten?«
    Nicolas erstarrte wie vom Donner gerührt. »Donnerwetter, daran habe ich nicht gedacht. Vielleicht sind sie es. Gott schütze uns! Aber ich muß mich jetzt sputen. Es ist spät geworden, die Vesper hat schon begonnen. Gehabt euch wohl!« Sprach's und eilte davon in die Kirche.
    Wir setzten unseren Rundgang fort. Rechts lagen die Unterkünfte der Pilger und der Kapitelsaal mit dem Garten, links die Olivenpressen, die Mühle, die Speicher, der Weinkeller und das Novizenhaus. Und überall sahen wir Mönche zur Kirche eilen.
    »Was haltet Ihr von Nicolas' Worten?« fragte ich William.
    »Ich weiß nicht. Sicher ist, daß in der Bibliothek etwas vorgeht, und ich glaube nicht, daß es die Geister der verstorbenen Bibliothekare sind …«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie, wie ich annehme, doch wohl so tugendhaft waren, daß sie jetzt eher im Himmel sitzen und das Antlitz der göttlichen Weisheit schauen, wenn dir diese Antwort genügt. Was die Lampen betrifft, so werden wir ja sehen, ob es dort welche gibt. Und was die magischen Salben betrifft, von denen uns unser wackerer Glasermeister erzählt hat, so gibt es einfachere Methoden, um Visionen hervorzurufen, und Severin kennt sie genau, wie du heute bemerkt hast. Sicher ist, daß jemand in dieser Abtei die Mönche partout daran hindern will, nachts in die Bibliothek einzudringen, und daß es viele trotzdem versucht haben.«
    »Und das Verbrechen, das wir untersuchen, hat mit diesen Dingen zu tun?«
    »Verbrechen? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gelange ich zu dem Schluß, daß Adelmus sich selber umgebracht hat.«
    »Wieso?«
    »Erinnerst du dich an heute morgen, als wir den Kehrweg unter dem Ostturm hinaufstiegen und ich die Müllhalde sah? An jener Stelle fand ich die Spuren eines kleinen Erdrutsches: Ganz offensichtlich war ein Teil des lockeren Erdreichs, ungefähr dort, wo der Müll sich häufte, abgerutscht und den Steilhang hinuntergeglitten bis unter den Turm. Deswegen erschien uns vorhin, als wir über die Mauer hinunterblickten, der Müll so wenig mit Schnee bedeckt: Er war gerade nur vom Schnee der letzten Nacht überzogen, nicht aber von dem der Tage zuvor. Was nun die Leiche des armen Adelmus betrifft, so hat uns der Abt gesagt,

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