Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
die Erfindung viel älter ist«, sagte William. »Aber die Herstellung ist sehr schwierig und verlangt erfahrene Hände. Sie kostet Zeit und Arbeit. Vor zehn Jahren wurde in Bologna ein Paar dieser vitrei ab oculis ad legendum 23 für sechs Silbergroschen verkauft. Ich hatte damals bereits ein Paar, das mir ein großer Meister, Salvino degli Armati, vor über zehn Jahren geschenkt hatte, und ich habe diese kostbaren Gläser während der ganzen Zeit so sorgsam gehütet, als wären sie – was sie inzwischen tatsächlich geworden sind – ein Teil meines Körpers.«
    »Ich hoffe, du läßt sie mich irgendwann dieser Tage einmal genauer untersuchen. Es würde mir nicht mißfallen, ähnliche herzustellen«, sagte Nicolas aufgeregt.
    »Gewiß«, erwiderte William. »Aber bedenke, daß die Form und Dicke der Linsen verschieden sein muß, je nachdem, an welches Auge sie sich anpassen sollen. Man muß eine ganze Reihe von Linsen direkt am Patienten ausprobieren, bevor man die richtigen für ihn gefunden hat.«
    »Wahrlich ein Wunder, ein echtes Wunder!« staunte Nicolas, immer noch ganz ergriffen. »Und doch werden viele, wenn sie das sehen, von Hexerei und Teufelswerk sprechen …«
    »Sicher kann man bei diesen Dingen auch von Magie sprechen«, gab William zu. »Doch es gibt zwei Arten von Magie. Die eine ist Teufelswerk und zielt darauf ab, die Menschen durch Machenschaften, von denen zu sprechen sich nicht geziemt, zu zerstören. Die andere aber ist Gottes Werk, und sie liegt immer dann vor, wenn die göttliche Weisheit sich in der menschlichen Wissenschaft ausdrückt mit dem Ziel, die Natur zu verändern und das Leben der Menschen zu verlängern. Dies ist zweifellos eine heilige Magie, der die Wissenschaftler sich mehr und mehr zuwenden sollten. Nicht nur um Neues zu entdecken, sondern auch um die vielen Geheimnisse der Natur wieder freizulegen, die Gottes Weisheit bereits den Juden und Griechen und anderen antiken Völkern offenbart hatte und die Gott auch heute noch manchen Ungläubigen offenbart (du glaubst gar nicht, wie viele Wunderdinge der Optik oder der Wissenschaft vom Sehen sich in den Schriften der Ungläubigen finden!). All diese Kenntnisse muß eine christliche Wissenschaft sich wieder aneignen und sich gewissermaßen zurückholen von den Heiden und Ungläubigen tamquam ab iniustis possessoribus . 24 «
    »Aber warum lassen dann diejenigen«, fragte Nicolas interessiert, »die bereits im Besitz dieser Wissenschaft sind, nicht das ganze Gottesvolk an ihr teilhaben?«
    »Weil nicht das ganze Gottesvolk reif ist für so viele Geheimnisse«, antwortete mein Meister. »Und es ist ja auch oft schon geschehen, daß die Inhaber dieser Wissenschaft mit dämonischen Magiern verwechselt wurden, mit Leuten, die sich dem Teufel verschrieben hatten und nun mit ihrem Leben bezahlen mußten für ihren Wunsch, die anderen teilhaben zu lassen an ihrem Wissensschatz. Ich selber mußte mich in meiner früheren Tätigkeit bei Prozessen, bei denen es um den Verdacht des Umgangs mit dem Dämon ging, oft sorgsam vor dem Gebrauch dieser Linsen hüten und mir die Akten von Sekretären vorlesen lassen, um nicht in einer Zeit, in der die Präsenz des Teufels so nahe schien, daß alle schon sozusagen den Schwefel rochen, der Komplizenschaft mit dem Angeklagten verdächtigt zu werden. Im übrigen hat schon der große Roger Bacon zu Recht darauf hingewiesen, daß nicht alle Geheimnisse der Wissenschaft in alle Hände gelangen dürfen, da einige sie für üble Zwecke mißbrauchen könnten. Oft muß der Wissende Bücher als magisch ausgeben, die gar nicht magisch sind, sondern durchaus von guter Wissenschaft, um sie vor indiskreten Augen zu schützen.«
    »Dann fürchtest du also, daß die Laien schlechten Gebrauch von diesen Geheimnissen machen könnten?« wollte Nicolas wissen.
    »Bei den Laien fürchte ich nur, daß sie sich von ihnen erschrecken lassen und sie mit jenem Teufelswerk verwechseln, von dem unsere Prediger allzuoft sprechen. Stell dir vor, ich habe sehr tüchtige Ärzte gekannt, die hervorragende Medizinen zu mischen wußten, mit denen sie schlimme Krankheiten unverzüglich zu heilen vermochten. Aber den Laien verabreichten sie ihre Salben und Säfte nur unter Rezitation von heiligen Worten und Sprüchen, die wie Gebete klangen. Nicht weil diese Sprüche irgendeine heilende Kraft gehabt hätten, sondern damit die Patienten glaubten, während sie das Zeug schluckten oder sich damit einreiben ließen, daß die Heilung durch

Weitere Kostenlose Bücher