Der Name der Rose
orientieren, wird den Mönchen, die sich fast alle der schweren Arbeit des Geistes widmen, eher solide Nahrung geboten. Andererseits war der Tisch des Abtes seit jeher schon privilegiert, auch weil nicht selten Gäste dort sitzen, die man besonders ehren will, und die Klöster sind stolz auf die reichen Erzeugnisse ihrer Felder und Ställe sowie auf die Kunst ihrer Küchenmeister.
Während des Essens schwiegen die Mönche, wie es die Regel gebot; wenn es erforderlich war, verständigten sie sich mit den üblichen Fingerzeichen. Die Novizen und jüngeren Mönche wurden zuerst bedient, sobald die für alle bestimmten Speisen den Tisch des Abtes passiert hatten.
Am Tisch des Abtes saßen außer uns der Bibliothekar, der Cellerar und die beiden ältesten Mönche, Jorge von Burgos, der blinde Greis, den wir bereits im Skriptorium kennengelernt hatten, und der steinalte Alinardus von Grottaferrata, ein nahezu Hundertjähriger, zittrig und schwach auf den Beinen und, wie mir schien, geistig ein wenig abwesend. Er sei, so sagte der Abt uns leise, schon als Novize in dieser Abtei gewesen und habe sein ganzes Leben hier verbracht; er könne sich an Ereignisse aus mehr als achtzig Jahren erinnern. Der Abt sagte uns das halb flüsternd zu Beginn der Mahlzeit, danach hielt er sich im wesentlichen an den Gebrauch unseres Ordens und folgte der Lesung schweigend. Im wesentlichen, denn, wie gesagt, am Tisch des Abtes nahm man sich schon mal die eine oder andere Freiheit heraus, und so kam es vor, daß wir die Speisen lobten, die uns dargereicht wurden, indes der Abt die Qualitäten seines Olivenöls rühmte oder auch seines in der Tat vorzüglichen Weines. Einmal sogar, als er uns nachschenkte, zitierte er jenes Kapitel der Regel des heiligen Benedikt, in welchem der Ordensgründer bemerkt, daß der Wein zwar gewiß nichts für Mönche sei, doch da man die Mönche in unseren Zeiten nicht davon überzeugen könne, sollten sie wenigstens nicht bis zur Sättigung trinken, denn der Wein bringe, wie schon der Ekklesiast hervorhob, sogar die Weisen zur Apostasie. Und man bedenke: Benedikt sagte »in unseren Zeiten« und bezog sich damit auf die seinen, die heute weit zurückliegen. Wie anders waren bereits die Zeiten, da wir in jener Abtei am Tische des Abtes saßen, nach soviel Sittenverfall seit der Gründung des Ordens (und ich spreche hier gar nicht von unseren heutigen Zeiten, da ich dies niederschreibe, obwohl man in Melk vorwiegend Bier trinkt)! Kurzum, wir tranken. Zwar nicht im Übermaß, aber auch nicht ohne ein gewisses Wohlgefallen.
Dazu aßen wir frischen Schweinebraten vom Spieß, und mir fiel auf, daß man für die anderen Speisen nicht tierisches Fett noch Rapsöl genommen hatte, sondern das feine Olivenöl aus den Ländereien, die der Abtei in den sonnigen Tälern drunten auf der Südseite des Gebirges gehörten. Der Abt ließ uns von einem knusprigen Hähnchen kosten, das speziell für seinen Tisch zubereitet worden war, und ich bemerkte, daß er etwas sehr Seltenes besaß: eine kleine metallene Gabel, deren Form mich an Williams Lesegerät erinnerte. Zweifellos wollte er sich als Mann von nobler Herkunft nicht die Hände an den fettigen Speisen besudeln. Er bot uns sein Utensil sogar zur Benutzung an, zumindest um das Fleisch von der großen Platte zu nehmen und es auf unsere Teller zu legen. Ich lehnte dankend ab, doch William nahm es gern und bediente sich dieses vornehmen Instrumentes mit zwangloser Eleganz, als ob er dem Abt beweisen wollte, daß die Franziskaner keineswegs immer Leute von plumpen Manieren und niederer Herkunft sind.
In meiner Begeisterung über all diese Speisen (nach mehreren Tagen der Wanderschaft, in denen wir uns ernährt hatten, so gut es eben ging) war meine Aufmerksamkeit für die fromme Lesung ein wenig schwächer geworden. Sie wurde aufs neue geschärft durch ein heftig zustimmendes Grunzen des alten Jorge, das, wie ich gleich daraufmerkte, einer Stelle aus der Regel des heiligen Benedikt galt. Einer Stelle, die den gestrengen Jorge zweifellos sehr befriedigen mußte, wenn man bedenkt, was er am Nachmittag im Skriptorium gesagt hatte. Denn der Vorleser las gerade: »Lasset uns tun, was der Prophet verkündet: ›Ich sagte, behüten will ich meine Wege, daß ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich stellte an meinen Mund eine Wache; stumm blieb ich, demütigte mich und schwieg sogar vom Guten.‹ Hier lehrt uns der Prophet, daß man dem Schweigen zuliebe bisweilen sogar der guten Rede
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