Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
war die erste, die Kass ihrer Mutter je aufgetischt hatte, und sie spürte, wie ihr Herz ganz fest schlug und das Blut in ihren Ohren rauschte.
Ihre Mutter schien von alldem nichts zu bemerken. »Tatsächlich? Aber sie müssen doch irgendwelche Teller haben«, sagte sie. »Was ist mit den Pad-Thai-Nudeln?«
»Dafür nehmen sie kleine Schüsseln. Und große Platten beim Servieren«, fügte Kass hinzu, für den Fall, dass ihre Lüge etwas zu ausgefallen war. »Aber keine ganz normalen Teller.«
»Dann räum den Teller weg«, scherzte ihre Mutter. »Du kannst ja vom Tisch essen. Vielleicht gefällt es dir.«
»Haha. Sehr witzig, Mel«, sagte Kass, die froh war, dass ihre Mutter ihr ohne Weiteres glaubte. (Kassandras Mutter hieß Melanie, aber alle sagten Mel zu ihr – sogar Kass, wenn sie besonders erwachsen klingen wollte oder etwas sehr Wichtiges sagte.)
Da ihre Testlüge so gut geklappt hatte, ging Kass zum nächsten Schritt über, sprich, zu einer richtigen Lüge. Zuerst wollte sie etwas Wahres sagen, denn, so überlegte sie, wenn die eine Hälfte der Wahrheit entsprach, konnte die andere Hälfte nur eine halbe Lüge sein. *
»Ich muss morgen zu Max-Ernest«, sagte sie. »Er ist ein Mitschüler. Ich habe ihn noch nie erwähnt, weil er eigentlich in Mr Goldings Klasse ist. Außerdem ist er ein bisschen überdreht.«
Das zumindest stimmte. Jetzt kam die Lüge.
»Wir haben zusammen dieses Physik-Projekt. So wie beim gemeinsamen Experimentieren, als wir einen Minivulkan basteln sollten. Die Klasse ist in Zweiergruppen eingeteilt worden und ich bin mit Max-Ernest zusammen.«
* Vom moralischen Standpunkt aus kann ich Kassandras Argumentation nicht zustimmen. Andererseits ist die Mischung aus Wahrheit und Lüge eine sehr wirkungsvolle Technik.
Kass merkte, dass ihre Mutter nur mit halbem Ohr zuhörte. »Morgen?«, fragte sie.
»Montag ist Abgabe.«
»Na gut. Wenn du morgen nicht da bist, kann ich vielleicht zum Yoga gehen und dich unterwegs bei deinem Schulkameraden absetzen.«
»Er wohnt gleich in der Nähe, ich kann zu Fuß gehen.«
»Nicht nötig, ich kann dich mitnehmen.«
Das Gespräch verlief nicht ganz nach Plan. Wenn ihre Mutter sie im Auto mitnahm, würde sie bestimmt die Eltern von Max-Ernest kennenlernen wollen und mit ihnen über das Schulprojekt reden. Das würde Kass einen Strich durch die Rechnung machen.
»Kass, deine Ohren sind ja ganz rot – hast du irgendwas?«
»Nein, ich, na ja...«
Jetzt war es Zeit, die schweren Geschütze aufzufahren, wie es so schön heißt – Argumente also, die man sich nur für wirklich dringende Angelegenheiten aufspart.
»Weißt du noch, wie du versprochen hast, nicht mehr so überfürsorglich zu sein? Du hast gesagt, es liegt daran, dass du Schuldgefühle hast, weil du die ganze Zeit arbeitest und nicht immer für mich da sein kannst und weil du mich deshalb immer behüten willst. Aber dann hast du eingesehen, dass es mir gegenüber nicht fair ist und ich mich nicht wie eingesperrt fühlen soll, nur weil du so viel zu tun hast. Aber jetzt bin ich ja wieder eingesperrt! Und das, obwohl du an dem Tag gar nicht arbeitest! Wenn du willst, kann ich ja Sebastian mitnehmen, er wird mich beschützen. Ich habe Larry und Wayne schon gefragt und sie haben es mir erlaubt.«
»Dieser blinde alte Hund? Und wer beschützt ihn?«
»Er kann sehr wohl sehen – mit seiner Nase. Er ist ein Schnüffelauge, das weißt du doch.«
»Okay, okay, wenn du unbedingt zu Fuß gehen willst. Aber pass auf dich auf, ja? Keine Katastrophen!«
Und das war’s dann. Kass verspürte leichte Gewissensbisse, weil sie ihre Mutter hinterging und sie mit ihren Gefühlen erpresste, aber sie verdrängte den Gedanken rasch wieder. Alles in allem war bei ihrer ersten Lüge alles glattgegangen – auch wenn ihre Ohren sie fast verraten hätten.
Max-Ernest bereitete das Lügen größere Schwierigkeiten. Seine Eltern glaubten ausgerechnet den Teil nicht, der der Wahrheit entsprach.
»Du hast eine Freundin?«, fragte seine Mutter.
»Seit wann reden denn Mädchen mit dir?«, fragte sein Vater.
Das war gar nicht so gehässig gemeint, wie es sich anhörte. Sie waren einfach überrascht. Max-Ernest hatte noch nie einen Freund gehabt.
Sie glaubten ihm erst, als Kass tatsächlich vor der Tür stand.
Es war Samstagmorgen und Kass hatte Sebastian bei sich. Sie war ein wenig verdattert beim Anblick des seltsamen Hauses. Was nicht weiter verwunderte, denn es fiel schon von Weitem auf. Das Haus bestand
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