Der Narr und der Tod
bedrückend geworden, dass Martin sich zum Eingreifen genötigt sah.
„Wir haben heute überraschenden Besuch bekommen“, meinte er munter.
„Ach ja? Wer ist denn gekommen?“ Catledge war über den Themenwechsel sichtlich erleichtert.
„Meine Nichte. Mit ihrem Baby, einem kleinen Jungen.“
Ich lüpfte diskret eine Braue. Eigentlich hatten wir Reginas Besuch gar nicht erwähnen wollen.
„Sie hat einen Jungen?“ Ellen seufzte. „Mir fehlen unsere Jungs. Sie waren so wunderhübsche Babys. Aber selbst die süßesten Babys werden erwachsen und verlassen ihr Zuhause. Das ist doch so, nicht wahr?“ Wenn sie das alles in lockerem Ton vorgetragen hätte, wäre nichts dabei gewesen, aber Ellens Stimme klang mit jedem Wort brüchiger. Erneut senkte sich unbehagliches Schweigen über den Tisch.
Bis Ellen ihren Stuhl zurückschob und sich ein wenig schwankend erhob. „Bitte entschuldigt mich“, sagte sie, fast schon wieder gefasst. „Ich fürchte, ich bin eine schlechte Gastgeberin. Ich fühle mich nicht gut.“ Womit sie hocherhobenen Hauptes und ohne einen von uns anzusehen das Zimmer mit raschen Schritten verließ und die Treppe in den ersten Stock hinaufeilte.
„Es tut mir leid, dass Ellen krank ist“, sagte ich hastig. „Sie hätte absagen sollen, das hätten wir doch verstanden. Die Gute! Da hat sie sich solche Mühe gegeben und hätte doch eigentlich im Bett bleiben sollen.“ Ich wollte mit meinem Geplapper das Schweigen übertönen und die Wogen glätten, was mir in einem gewissen Maß auch gelang.
„Ellen weiß einfach nicht, wann sie mal eine Pause einlegen müsste.“ Catledge war mir sichtlich dankbar für meine vielen Worte. „Wir würden die Einladung gern nachholen, wenn es ihr wieder gut geht.“
„Oh nein, als Nächstes sind wir an der Reihe.“ Martin war bereits aufgestanden und hatte meinen Mantel geholt. „Wir haben den Abend genossen, es tut mir leid, dass er so enden musste.“
Während Martin und Catledge sich abmühten, das Richtige zu sagen und zu tun, um den Abend gnädig beenden zu können, ging ich in die Küche, weil ich Mrs. Esther für das leckere Essen danken und ihr Bescheid sagen wollte, dass abgeräumt werden konnte. Die Köchin saß am kleinen Frühstückstisch am Fenster und las ein Buch: „Männer sind die halbe Miete“. Ich hatte den Mund schon halb offen, als ich sah, dass die Tür, die von der Küche aus zur Garage führte, von außen geschlossen wurde. Ellen musste über die Hintertreppe wieder heruntergekommen sein und sich durch die Küche in die Garage geschlichen haben, wo sie – das war nicht zu überhören – gerade ihr Auto anließ.
Mein Blick glitt von der Hintertür der Küche hinüber zu Mrs. Esther. Sie musterte mich mit absolut starrem Gesicht, das trotzdem Bände sprach: ‚Das geht mich nichts an und ich will auch gar nichts weiter wissen ‘ , besagte dieser Blick deutlicher als tausend Worte.
„Vielen Dank für das wunderbare Abendessen, Mrs. Esther“, sagte ich. „Das Huhn war besonders köstlich.“
„Danke, Mrs. Bartell.“ Noch so jemand, der mich nicht Ms. Teagarden nannte. Aber darüber würde ich mich nicht aufregen. Es hatte mir nie etwas bedeutet, wie die Leute mich nannten, solange ich selbst wusste, wer ich war.
Mrs. Esther und ich verabschiedeten uns voneinander. Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, schüttelten Martin und Catledge einander die Hand. Aber dann erwähnte Catledge das Mittwochstreffen des Bauausschusses, und Martin fiel ein, dass Pan-Am Agra gerade neben dem Werk ein Stück Land gekauft hatte, das noch nicht in der Bebauungszone lag, und die beiden befanden sich mir nichts, dir nichts wieder mitten in der Unterhaltung.
Da ich mich nicht ums Abräumen kümmern konnte, solange Mrs. Esther in der Küche war, die das bestimmt als Einmischung in ihre Arbeit betrachtet hätte, und auch schlecht im Haus herumwandern konnte, weil das unhöflich gewesen wäre, fahndete ich in meiner Handtasche nach einem Pfefferminzbonbon, um es mir verstohlen in den Mund zu stecken, zupfte mir die Locken aus dem Mantelkragen, die sich beim Anziehen verfangen hatten, und klopfte dann Martin leicht auf den Arm.
„Warum telefonierst du nicht morgen in aller Ruhe mit Catledge, Liebling?“, sagte ich. „Wir müssen nach Hause.“
Martin lächelte liebevoll auf mich herab. „Wie recht du hast, Roe. Wir sollten vor dem Schlafengehen noch einmal nach Regina und dem Baby sehen.“
Endlich, endlich schafften wir es aus der Tür
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