Der Nautilus-Plan
was sie sagen würde, wenn sie im Büro des Sheriffs anrief. Doch als sie auf das Telefon zuging, hatte sie das beängstigende Gefühl, dass auch hier irgendetwas nicht stimmte. Sie blieb hinter ihrem Schreibtisch stehen. Ihr Büro war ein ständig sich veränderndes Mosaik aus Büchern, Papieren, Zeitungen, Videobändern, Fotos – Korrespondenz und allen möglichen Forschungsunterlagen. Für andere, darunter auch Kirk, das reinste Chaos. Als sie sich prüfend in ihrem Büro umsah, stellte sie überrascht fest, dass sie eine Szenerie immer noch genau rekonstruieren konnte.
Alles befand sich an seinem Platz. Ihre Fantasie war mit ihr durchgegangen. Sie griff bereits laut schimpfend nach dem Telefon, hielt dann aber inne.
Das rote Lämpchen ihres Anrufbeantworters blinkte. Sie drückte den Abspielknopf. »Um zehn Uhr dreißig wurde folgende Nachricht für Sie hinterlassen«, ertönte die Ansage.
Sie war von Shey Babcock, ihrem Produzenten, mit seiner unverkennbaren Hollywood-Mischung aus Insidertuscheln und Süßholzraspeln. »Hallo, Liz, wie geht’s? Ich habe schlechte Nachrichten für dich. Wie es aussieht, sind wir vorerst aus dem Geschäft. Compass Broadcasting hat Geheimnisse des Kalten Krieges auf unbestimmte Zeit verschoben. Wirklich schade, Mädchen.«
»Nein!« Liz plumpste in ihren Sessel.
In einem Anfall von schlechtem Gewissen fuhr Babcock fort: »Ich habe ständig angerufen, konnte aber von keinem dieser Saftsäcke eine klare Antwort kriegen. Was mich angeht, kann ich diese Entscheidung einfach nicht verstehen. Aber verlass dich drauf, ich bleibe dran. Keine der Sendungen, die ich sonst noch produziere, liegt mir so am Herzen wie diese. Ich stehe voll hinter deiner Serie, will sie unbedingt machen. Der Kalte Krieg ist wichtig. Diese ganzen Ignoranten in unserem Land sollen ruhig wissen, dass er noch keineswegs vorbei ist. Ruf kurz an, wenn dir deine studentischen Verehrer eine Verschnaufpause gönnen. Damit wir uns mal unterhalten. Bis dann.« Der Anrufbeantworter schaltete sich aus.
Einen Augenblick lang stand sie nur vollkommen reglos da. Hätte nicht gerade jemand versucht, sie zu ermorden, hätte sie gebebt vor Entrüstung.
Sie spielte die Nachricht ein zweites Mal ab. Ihr war unbegreiflich, weshalb sie die Serie ausgerechnet jetzt, in letzter Minute, aus dem Programm nahmen. Der Sender hatte ein Vermögen für die Rechte ausgegeben, unter anderem auch für ihre alten Sendungen im Kabelfernsehen, und der Werbeaufwand war auch nicht gerade gering gewesen. Es hätte gar nicht besser laufen können – die Serie war bereits Gesprächsthema Nummer eins. Liz war nicht nur für den TV Guide- Artikel interviewt worden, sondern auch für Berichte in People, Entertainment Weekly und – wer hätte das gedacht? – GQ. Außerdem hatte der Sender die Serie am Sonntagabend auf den attraktiven Sendeplatz hinter den ungeheuer beliebten 60 Minutes gelegt. Auch wenn die beiden Sendungen auf verschiedenen Kanälen liefen, bedeutete dieser Sendeplatz einen zusätzlichen Schub für die Sendung. Alle diese Maßnahmen zielten darauf ab, den Kultstatus der Serie weiter auszubauen und sie zu einem absoluten Quotenrenner zu machen. Für Liz war dabei der entscheidende Punkt, dass sie Millionen Zuschauer erreichen würde.
»Um Himmels willen, Liz!« Kirk stand mit kreidebleichem Gesicht in der Tür. Wie üblich war er hereingekommen, ohne zu klopfen. »Was ist denn mit dir passiert? Bist du verletzt? Was rede ich denn, natürlich bist du das. Sieh dich doch mal an!« Er kam auf sie zu.
Sie blickte an sich hinab. Das T-Shirt hing ihr in Fetzen vom Leib, ihre schmutzstarrenden Arme und Beine waren von Kratzern übersät. Auf ihrem Bauch prangte ein blauer Fleck. Sie hatte keine Ahnung, wie ihr Gesicht aussah, aber sie nahm an, es bot keinen erfreulichen Anblick.
»Alles nur halb so wild«, sagte sie. »Ich wasche mich gleich. Aber erst muss ich im Sheriff’s Department anrufen. Ein durchgeknallter Jogger hat mich das Kliff runtergeworfen.«
»Was soll das heißen? Ein Jogger hat dich das Kliff runtergestoßen? Welcher Jogger?«
»Wenn ich das nur wüsste.« Sie griff nach dem Telefon.
Stirnrunzelnd traf Kirk eine Entscheidung. »Der Sheriff kann warten. Erst musst du zum Arzt.«
»Nein, mir fehlt wirklich nichts. Ich habe mir nichts gebrochen.« Sie begann zu wählen.
Mit einer erstaunlich schnellen Bewegung nahm ihr Kirk den Hörer aus der Hand.
Sein Gesicht rötete sich, sodass seine Sommersprossen in der
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