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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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fragte meine Mutter.
    »Ja, die Vorhaut«, sagte die dürre Hilda.
    »Dann sollten sie dem kleinen Itzig bloß die Vorhaut abschneiden«, sagte meine Mutter ... »und nicht gleich das ganze Ding ... genauso wie mit dem Herzen.«
    »Na ja«, sagte die dürre Hilda ... »das stimmt schon ... aber ein Schwanz ist eben kein Herz ... der wächst ja wieder nach ... das hab ich dir doch erklärt.« Die dürre Hilda lachte boshaft. Meine Mutter schüttelte den Kopf und sagte: »Das ist ja allerhand. Hätt' ich nicht für men schenmöglich gehalten.«
    »Wie alt ist eigentlich dein kleiner Max?« fragte die dürre Hilda.
    »Acht Tage«, sagte meine Mutter, »... genauso alt wie der kleine Itzig, oder, um genauer zu sein: zwei Minuten und zweiundzwanzig Sekunden jünger.«
    »Dann würd' ich ihm an deiner Stelle auch das Schwänzchen abschneiden lassen«, sagte die dürre Hilda. »Paß mal auf, Minna. Das wächst dann wieder nach, bestimmt so wie bei den Juden, weder zu lang, noch zu kurz, gerade die richtige Länge, aber dafür besonders dick und kräftig."
    Sie werden sich wahrscheinlich an dieser Stelle fragen, woher ich das alles noch so genau weiß, aber ich kann es Ihnen beim besten Willen nicht sagen.
    Nach der vollzogenen Beschneidung des Itzig Finkelstein rannte meine Mutter aufgeregt nach Hause, alarmierte sofort meine fünf Väter, holte mich aus der Wiege und legte mich auf den Küchentisch, in der Absicht, mich meines Gliedes zu berauben, es sozusagen abzuschneiden. Die Familie Abramowitz war nicht zu Hause ... und ich armes, hilfloses und wehrloses Wurm war ihnen völlig ausgeliefert. Ich mußte etwas geahnt haben, denn ich schrie wie besessen, und weder meine Mutter noch meine fünf Väter konnten mich beruhigen. Der Schlossermeister hielt mir die Armchen fest, der Maurergehilfe die Beinchen, meine Mutter steckte mir den Schnuller in den Mund, der Hausdiener und der Kutscher standen verlegen herum, während der Fleischer grinsend ein langes Messer zückte.
    »Schneid's ihm nicht ab«, sagte meine Mutter plötzlich. »War doch nur 'n Spaß.«
    »Kein Spaß«, sagte der Fleischer. »Sowas ist bitterer Ernst.« »Vielleicht wächst es nicht nach«, sagte meine Mutter, »schließlich ist er kein Jude. Außerdem ist der Mohel nicht da, um seine Zaubersprüche zu murmeln.«
    »Scheiß auf den Mohel und seine Zaubersprüche«, sagte der Fleischer.
    »Mach's nicht«, sagte meine Mutter. »Sonst kommen wir noch alle ins Kittchen.«
    Der Fleischer wollte gerade mein Glied packen, als etwas Seltsames geschah. Ich, Max Schulz, acht Tage alt, sprang dem Fleischer plötzlich mit einem Aufschrei an den Hals, biß kräftig zu, obwohl ich noch keine Zähnchen hatte, ließ mich auf den Fußboden fallen, kroch inWindeseile zum Fenster, zog mich am Fensterbrett hinauf, erblickte zum ersten Mal in meinem Leben ... die Straße ... eine ganz gewöhnliche Straße ... mit Gehsteig und Rinnstein und Kopfsteinpflaster ... und Backsteinhäusern, die schiefe bunte Dächer hatten, sah Fuhrwerke und ein Gewimmel von zwei- und vierbeinigen Lebewesen, erblickte auch den Himmel ... aschgrau und schwarz ... wolkenverhängt-betupft-verschmiert- überzogen ... sah kreisende runde Vögel ... aber keine Englein, gar keine Englein.
    Unten auf der Straße liefen die Leute zusammen. Irgendjemand rief: »Was, zum Teufel, ist denn dort oben los?« Und meine Mutter, die inzwischen ans Fenster getreten war und mich auf den Arm nahm, rief zurück: »Was soll schon los sein!«
    Sie glauben wahrscheinlich, daß ich mich über Sie lustig mache? Oder Sie glauben es nicht, und Sie werden sich sagen: »Max Schulz spinnt! Er bildet sich ein, daß man ihn umbringen wollte ... weil er ein Bastard war ... und das alles unter dem Vorwand einer Beschneidung, so wie das bei den Juden üblich ist: am achten Tag nach der Geburt. Was will Max Schulz? Was will er mir einreden? Wem will er die Schuld in die Schuhe schieben? Seiner Mutter? Den Juden? Oder dem lieben Gott? - Und das mit der Selbstwehr des Säuglings, seiner Flucht, den Eindrücken am Fenster ... Unsinn! Sowas gibt es nicht! Ein Alptraum! Nichts weiter!«
    Aber ich will Ihnen ja nur meine Geschichte erzählen ... in systematischer Reihenfolge ... drückt man sich so aus? ... obwohl ich Ihnen nicht alles erzähle, sozusagen: nur das Wichtigste, oder das, was ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, für ganz besonders wichtig halte.
    Meine fünf Väter besuchten meine Mutter jeden Abend. Sie standen

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