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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Schlange vor ihrer Zimmertür. Gewöhnlich ging der Stärkste, also der Fleischer, als erster zu ihr, dann kam der Schlossermeister an die Reihe, dann der Maurergehilfe, dann der Kutscher, dann der Hausdiener. Ja, der Hausdiener immer als letzter, weil er der Schwächste war, ein zierlicher kleiner Mann mit Pieps stimme, dem nichts anderes übrigblieb, als seinen Schwanz im Samen meiner anderen vier Väter zu baden.
    Dem jüdischen Pelzhändler Abramowitz war das natürlich nicht recht, was ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, verstehen kann. Der Pelzhändler Abramowitz hatte an sich nichts gegen mich oder gegen die Tatsache meiner Existenz einzuwenden, das heißt: solange er überzeugt war, ich sei der Sohn seines Kutschers Wilhelm Hopfenstange oder seines Hausdieners Adalbert Hennemann, da ja beide sozusagen zur Familie gehörten. Erst als der Pelzhändler mißtrauisch wurde, gab es Krach. Eines Tages sagte er zu meiner Mutter: »Hören Sie mal, Minna. Das kann nicht so wei tergehen. Ich dachte, es wären nur mein Kutscher und mein Hausdiener. Aber fünf Männer in der Schlange, das ist zuviel. Schließlich ist das ein anständiges Haus.«
    »Aller guten Dinge sind drei«, sagte meine Mutter.
    »Aber nicht fünf«, sagte der Pelzhändler. »Fünf bestimmt nicht. Das ist ein anständiges Haus, und ich muß Ihnen kündigen."
2.
    An einem regnerischen Julitag ... ich war gerade sieben Wochen alt ... packte meine Mutter ihre Koffer, nahm mich auf den Arm und verließ das Haus Abramowitz. Meine fünf Väter halfen selbstverständlich beim Auszug. Das Gepäck meiner Mutter bestand aus drei Koffern, einem Rucksack, einem Einkaufsnetz und einem Regenschirm. Der Fleischer trug den schwersten Koffer, einen gelben Holzkoffer mit eisernem Schloß und Riegel, der Schlossermeister den braunen Lederkoffer, der Maurergehilfe den blauen Koffer aus Segeltuch, der Kutscher den Rucksack, während der schwächliche Hausdiener nur den Regenschirm und das Einkaufsnetz hinterherschleppte, ein Netz von grellgrüner Farbe, das mit Lebensmitteln aber auch anderen Gebrauchsgegen ständen, wie zum Beispiel: Strumpfbändern, Haarwick lern, Schleifchen und so fort, gefüllt war.
    Sie müssen sich vorstellen, daß meine Mutter ein kräf tiges Weibsbild war, von der die Leute sagten, daß sie zwei Tonnen wog, obwohl sie dünne Beine hatte. Sie sah wie ein wandelndes Bierfaß auf Stelzen aus, Stelzen, die es gerade noch fertigbrachten, den riesigen Oberkörper mit Würde zu tragen. Noch zu erwähnen wäre das üppi ge blonde Haar meiner Mutter, ihre stahlblauen Augen und die Stupsnase, lustig wie ihr Doppelkinn mit der hellbraunen Warze. Sie hatte sinnliche Lippen. Ihre Zähne waren weiß und stark, Zähne, die den Fleischer immer aufs neue in Verzückung geraten ließen, denn der Fleischer sagte immer zu meiner Mutter: »Mensch, Min na, wenn ich deine Zähne seh', dann krieg' ich immer gleich Angst, daß du mir den Schwanz abbeißt.«
    Und dann pflegte meine Mutter zu sagen: »Ach Quatsch, Hubert, das könnte mir nur beim Hausdiener Adalbert Hennemann passieren, weil das bei dem so schlaff ist. Was stahlhart ist, das beiß ich nicht ab. Oder glaubst du, daß ich mir die Zähne zerbrechen will?«
    »Nein, Minna«, sagte der Fleischer. »Mit Zähnen ist nicht zu spaßen.«
    Als wir aus dem Haus traten, schlief ich friedlich im Arm meiner Mutter. Erst als wir an Finkelsteins Friseur salon vorbeikamen, wachte ich auf und begann zu heulen. Chaim Finkelstein stürzte sogleich aus dem Fri seursalon heraus, obwohl er gerade einen Kunden einseifte, auch die dürre Hilda öffnete das Fenster oben im zweiten Stock, sah, was los war und eilte auf die Straße. Man küßte und herzte mich ohne Erfolg. Schließlich sagte meine Mutter: »Weiß nicht, was mit dem Jungen los ist, Herr Finkelstein. Ihr Friseurladen hat den Jungen verhext.«
    »Was heißt ›Laden‹?« sagte Chaim Finkelstein. »Ich habe keinen Laden. Ich habe einen ›Salon‹.«
    »Dann hat ihn der Salon verhext«, sagte meine Mutter. »Sonst würde er nicht so heulen.«
    »Komm, Minna«, sagte der Fleischer, »red nicht soviel mit dem Jud ... außerdem ist der Holzkoffer zu schwer.«
    »Ja, wir sollten weitergehen«, sagte der Hausdiener, und meine anderen Väter pflichteten ihm bei.
    Wir wußten nicht, wohin wir gehen sollten. Chaim Finkelsteins Friseursalon lag ja, wie ich bereits früher erwähnte, Ecke Goethe- und Schillerstraße. Der Fleischer wollte unbedingt auf der

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