Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
Vom Netzwerk:
so glücklicher. Nein, nein, ich sehe ein, es ist nicht mehr möglich heimzukehren.“ Helga öffnete eine Schublade und entnahm ihr ein zerknülltes Päckchen. „Zigarette?“
    „Du Engel! Wie um alles in der Welt hast du das geschafft?“
    „Ich habe so meine Methoden.“ Sie zündete ein Streichholz für ihn an und hielt es dann auch an ihre eigene Zigarette. „Sehr wirksame … ja.“
    Sie rauchten eine Weile schweigend, aber das Wissen um die Gedanken des anderen stand wie ein bleiches Flackern zwischen ihnen.
    „Es wäre wirklich besser, du würdest dich von mir nach Hause bringen lassen“, sagte Corinth. „Es ist lebensgefährlich draußen. Der Mob des Propheten …“
    „In Ordnung“, meinte sie. „Obgleich ich einen Wagen habe und du nicht.“
    „Es sind nur wenige Blocks von dir zu mir, und beide Wohnungen liegen in einem sicheren Stadtteil.“
    Da es vorläufig noch unmöglich war, die Gesamtheit der ausgedehnten Stadt abzupatrouillieren, hatte sich die Stadtregierung auf bestimmte Schlüsselstraßen und -bezirke konzentriert.
    Corinth nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. „Ich verstehe es eigentlich nicht“, sagte er. „Menschliche Verhaltensweisen waren nie mein Gebiet, und selbst jetzt kann ich nicht richtig … Ich meine, warum hat dieser plötzliche Intelligenzanstieg so viele in das Stadium wilder Tiere zurückgeworfen? Warum begreifen sie nicht …“
    „Sie wollen nicht.“ Helga nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette. „Ganz abgesehen von denjenigen, die verrückt geworden sind – und sie sind ein bedeutender Faktor –, besteht die Notwendigkeit, daß man nicht nur etwas haben muß, womit, sondern auch etwas, worüber man nachdenken kann. Wir haben Millionen und aber Millionen von Leuten, die nie in ihrem Leben einen eigenen originellen Gedanken gehabt haben und deren Gehirne plötzlich einen Gang höher geschaltet werden. Sie beginnen zu denken – aber auf welcher Basis? Sie haben ihre alten abergläubischen Vorstellungen, ihren Haß, ihre Habgier, die Ängste und Vorurteile beibehalten, und der größte Teil ihrer neuen geistigen Energie verschwendet sich darauf, Rationalisierungen dafür zusammenzuschustern. Dann kommt plötzlich jemand wie dieser Dritte Baal des Weges und bietet den verängstigten und verwirrten Leuten ein Allheilmittel an: Er sagt ihnen, daß es gut und richtig ist, die schreckliche Last des Denkens abzuwerfen und sich selbst in einer emotionalen Orgie zu vergessen. Es wird nicht immer so weitergehen, aber die Übergangsperiode ist hart.“
    „Ja … hm … ich mußte erst einen Intelligenzquotienten von 500 oder so erlangen – was immer das bedeuten mag –, um zu erkennen, wie bedeutungslos Intelligenz oder Klugheit letzten Endes ist. Hübscher Gedanke.“ Corinth verzog das Gesicht und drückte seine Zigarette aus.
    Helga schob ihre Papiere zusammen und legte sie in eine Schublade. „Wollen wir gehen?“
    „Es ist fast Mitternacht. Sheila wird sich schon Sorgen machen, fürchte ich.“
    Sie gingen durch die verlassen daliegende Empfangshalle an den Wachen vorbei auf die Straße. Eine einsame Laterne warf einen schwachen Lichtschimmer auf Helgas Wagen. Sie setzte sich hinters Steuer, und leise summend glitt der Wagen durch die nächtlichen Straßen.
    „Ich wünschte …“ – in der Dunkelheit klang ihre Stimme fast zaghaft – „… ich wäre hier raus. Irgendwo in den Bergen.“
    Er nickte und fühlte, wie sehr auch er sich nach einem offenen Himmel und dem reinen Licht der Sterne sehnte.
    Der Mob war so schnell aufgetaucht, daß sie keine Zeit mehr hatten zu entkommen. Eben noch war der Wagen durch eine leere Straße gefahren, und im nächsten Augenblick schien der Boden Menschen auszuspucken. Sie strömten aus den Seitenstraßen, fast geräuschlos bis auf das Murmeln einiger Stimmen und das Schlurfen Tausender Füße – die wenigen Straßenlaternen ließen hier und dort Zähne und Augen aufblitzen. Helga brachte das Auto mit quietschenden Bremsen zum Stehen, als die Woge sich vor den Wagen schob und sie am Weiterfahren hinderte.
    „Tod den Wissenschaftlern!“ erhob sich ein einzelner Schrei, der schnell zu einem dumpfen Sprechchor wurde. Der lebende Strom ergoß sich als undeutlicher Schatten um den Wagen, und Corinth konnte ihr heiseres, heißes Atmen hören.
     
    Zerbrecht sie, zerstört sie, verbrennt ihre Häuser.
    Vernichtet die bösen Kinder der Sünde.
    Marschiert voran – macht auf das Tor,
    Öffnet es dem Dritten

Weitere Kostenlose Bücher