Der Nebel weicht
Eigenschaften unter den verschiedenen Bedingungen variieren. Ich arbeite mit herausgeschnittenen Gewebestreifen – modifizierte Lindbergh-Carrel-Technik. Es lief alles wirklich gut – und dann heute, als wir eine Routineüberprüfung durchführten, kamen völlig andere Resultate raus. Also habe ich alle anderen auch noch mal getestet. Jede einzelne hat sich verändert!“
„Hm?“ Corinth zog die Brauen in die Höhe. „Stimmt etwas mit deinen Apparaten nicht?“
„Nicht, daß ich wüßte. Nichts hat sich verändert – bis auf die Zellen selbst. Eine kleine, aber bedeutungsvolle Verschiebung.“ Lewis’ Stimme wurde lauter. Er sprach schneller, mit einer Andeutung steigender Erregung. „Du weißt, wie ein Neuron arbeitet? Wie ein Digitalcomputer. Es wird stimuliert von einem … einem Stimulus, gibt ein Signal ab und ist danach für kurze Zeit inaktiv. Der nächste Neuron in der Nervenzelle empfängt das Signal, gibt selbst eins ab und ist ebenfalls kurzfristig inaktiv. Nun, wie es aussieht, ist heute anscheinend alles verrückt geworden. Die Zeit der Inaktivität ist um wirklich viele Mikrosekunden kürzer geworden, das … also, ich will es einfach mal so nennen: Das ganze System reagiert bedeutend schneller als normalerweise. Und die Signale sind zudem intensiver.“
Corinth verdaute die Information kurz und sagte dann langsam: „Es sieht so aus, als ob du über etwas Großes gestolpert bist.“
„Na ja, aber wo steckt die Ursache? Das Medium, das Gerät, es ist alles noch genauso wie gestern. Ich werde noch verrückt bei dem Versuch herauszufinden, ob ich es mit einem potentiellen Nobelpreis oder einfach nur mit fehlerhafter Technik zu tun habe.“
Sehr langsam, als ob sein Verstand vor einer undeutlichen Erkenntnis zurückschreckte, sagte Corinth: „Es ist seltsam, daß dies gerade heute passiert ist.“
„Hm?“ Lewis blickte scharf auf, und Corinth berichtete von seinen eigenen Erlebnissen.
„Sehr eigenartig“, stimmte der Biologe zu. „Und keine großen Gewitter in der letzten Vergangenheit – Ozon regt den Verstand an –, aber meine Kulturen sind sowieso unter Glas verschlossen …“ Etwas blitzte in seinen Augen auf.
Corinth blickte sich um. „Hallo, dort ist Helga. Möchte wissen, was sie hier so spät treibt. He, hallo, hier!“ Er erhob sich winkend, und Helga Arnulfsen brachte ihr Tablett zu ihrem Tisch herüber und setzte sich. Sie war eine hochgewachsene, gutaussehende Frau, ihr langes, blondes Haar lag eng an ihrem selbstbewußt hochgereckten Kopf an, aber irgend etwas an ihrer Art – eine sehr unpersönliche Energie, eine gewisse Distanziertheit, vielleicht auch nur die unweiblich-forsche Steifheit, in der sie sprach und sich kleidete – machte sie unattraktiver als sie wirklich war. Sie hat sich verändert seit damals, gleich nach dem Krieg, dachte Corinth. Er hatte seinen Doktor in Minnesota gemacht, wo sie Journalismus studierte, und sie hatten eine Menge Spaß zusammen gehabt, obwohl er viel zu sehr in seine Arbeit und in ein anderes Mädchen verliebt gewesen war, um ernsthaft über eine Beziehung nachzudenken.
Später dann hatten sie miteinander korrespondiert, und vor zwei Jahren hatte er ihr einen Sekretariatsposten am Institut besorgt. Inzwischen war sie Assistentin des Verwaltungsdirektors und machte ihre Sache sehr gut.
„Puuh! Was für ein Tag!“ Sie strich sich mit einer starken, schlanken Hand über das Haar, brachte es in Form und lächelte sie müde an. „Hinz und Kunz hat heute Ärger, und alle kommen sie damit zu mir. Gertie hat den Rappel gekriegt …“
„Hmm?“ Corinth blickte sie ziemlich enttäuscht an. Er hatte damit
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