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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Branstner
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neue ans Beten denken konnte, gerieten ihm die Worte durcheinander, da die religiösen Texte, reich an Präpositionen, Metaphern und astronomischen Unzulänglichkeiten, sich in der neuen Umgebung einer gründlichen Überarbeitung als dringendst bedürftig erwiesen.«
    »Hahaha!«
    »Junger Mann, das Komische ist nicht zum Lachen da, vor allem dann nicht, wenn es aus einer Lage entsteht, die selber bewältigen zu können man sich nicht rühmen kann. Vielmehr hätten Sie die Frage stellen sollen, inwiefern das Komische nicht zum Lachen da ist.«
    »Aber mein Herr, ich habe doch gelacht, bevor Sie diese Behauptung aufstellten.«
    »Und was konnte Sie daran hindern, die Frage zu stellen, bevor Sie lachten? Ich sehe, daß es notwendig ist, Ihnen eine Lektion über die Natur der Frage zu halten.«
    »Gestatten Sie mir, während Ihres Vortrages die Augen zu schließen? Mein Flug hat mich etwas angestrengt.«
    »Bitte.«
    »Danke.«
    »Die Frage ist ein konstruktives Verfahren des denkenden Menschen.«
    Nach einer Weile bat der Astrometer den Vergilbten, in seiner Geschichte fortzufahren.
    »Unser Kardinal war einer geistigen Verwirrung nahe und verfiel in ein heftiges Schweigen. Die Skepsis nagte an seinem gläubigen Herzen. In dieser Stunde kam ein ehemaliger Kapitalist, der ehrenwerte Magnus Err, zu ihm und bat ihn um seine Unterstützung bei der Einrichtung einer Fabrik zur Herstellung von Zahnstochern. Der Kardinal schöpfte neue Hoffnung und versprach seine Hilfe. Nach kurzer Zeit war er von aller Religion bekehrt.«



 
     
     

»Das ist ja interessant. Bisher glaubte ich, die Kapitalisten gäben der Religion ihr täglich Brot, damit ihnen diese die Hungerleider vom Halse hält. Jetzt aber sollte das genaue Gegenteil der Fall sein?«
    »Die Wunderkraft unseres Planeten besteht ja gerade darin, alles in sein Gegenteil zu verkehren, um es dadurch dem menschlichen Verstande leichter erkennbar zu machen«, erwiderte der Vergilbte. »Erlauben Sie mir jedoch, Ihnen noch einige andere Gestalten vorzustellen, ehe wir auf unseren Kardinal zurückkommen. Da hätten wir die sogenannten praktischen Idealisten, weiter die Bürokraten, dann die Existentialisten, die absurden Maler, die Tagediebe und eine Unzahl anderer Spezies der Gattung Mensch. Die praktischen Idealisten sind vielleicht diejenigen, deren Verhalten zu ihrer Zeit am meisten unterschätzt wurde. Damit Sie mich recht verstehen, ich meine nicht die philosophischen Idealisten. Von denen haben wir auch einige. Die praktischen Idealisten sind vielmehr diejenigen, die, obwohl sie den Idealismus theoretisch bis aufs Messer bekämpfen, ihn in ihrer Tätigkeit getreulich praktizieren. Zu ihnen gehören zunächst die Redner aus Passion, die Schwerarbeiter der Zunge, die, mit oder ohne Manuskript, meist aber mit einem solchen, die übrige Welt mit Buchstaben über Buchstaben. Silben über Silben. Wörtern über Wörtern, Sätzen über Sätzen und ganzen Bergen von Interpunktionszeichen überhäufen, die der Mitwelt mit Augenrollen, Händefuchteln, mit drohenden und flehenden, beschwörenden und verurteilenden Gebärden, mit Räuspern und Kunstpausen ohne Pause zusetzen, und das Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr mit der erklärten Absicht, die Menschen zu bewegen, und mit dem sicheren Erfolg, sie in diesem Gewirr von Worten und Gebärden, unter diesem Gedankenbrei rettungslos zu ersticken. Weiter gehören zu den praktischen Idealisten neben denen der Rede die der Schrift. Sie sehen im geschriebenen Wort die Seligkeit und das Heilmittel aller Übel. Sie glauben, der Welt dadurch am besten auf die Sprünge zu helfen, daß sie ihr, wie dem Sportler die Startnummer, einen Beschluß, ein Rundschreiben, eine Verfügung, eine Verordnung, ein Protokoll, eine Resolution, eine Entschließung, eine Denkschrift, eine Vorlage, eine Umfrage, einen Bericht oder sonst ein Stück Papier auf den Hintern heften. Das Papier ist ihnen das Primäre, die Wirklichkeit hat nur zu folgen. Dabei kommt es ihnen darauf an, daß dieses Stück Papier nicht so ohne weiteres und ohne alle Anstrengungen hergestellt wird. Was kann ein Beschluß schon wert sein, der ohne Schweiß, ohne heftige Debatten über Auffassungen wie die, daß das Komma vor statt hinter dem Wort ›sondern‹ stehen müsse, gefaßt wurde. Ein solcher Beschluß kann nichts taugen, er hat seinen Zweck verfehlt, schon bevor er gefaßt ist. Waren aber die Debatten hitzig, hat es harte Kämpfe gegeben, haben

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