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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Ganze glich einer riesigen Zigeunerniederlassung um die Mittagszeit, wenn die erfinderischen Männer des Stammes alle auf Beute ausgezogen sind, und die anderen ihnen mit träger Hoffnung entgegenbrüten.
    Erwin zerbrach sich den Kopf, wieso es möglichgewesen sei, daß er diese Negerkolonie nicht schon früher bemerkt habe. Unter keinen Umständen hätte er sich in diesem Falle hier niedergelassen ... Deswegen, – erkannte er jetzt – war der Mann mit den stechenden Augen so redselig und hatte es so eilig, als er mich herausbrachte. Der Regen half ihm noch dabei, die Gegend effektiv zu verhängen...
    Der Weg zu Fuß dauerte, wie Erwin sich ausgerechnet, bis in den Kurort dreiviertel Stunden und eine halbe Stunde war er unterwegs, als er das Bahngeleis der New Jersey-Central überschritt und mit kurzem Herzklopfen einige Sekunden darauf den Zug vorübertosen spürte in greifbarer Nähe und so blitzartig, daß die Pullman-Wagen trotz ihrer Länge vom Wald aufgesogen wurden, als seien sie gewichtslos wie Erbsen, die ein Knabe aus dem Rohr bläst. Das Tosen verjüngte sich stracks zu leisem Poltern, das abrupt von der Stille zerquetscht ward und nurmehr ein traumhaftes Pulsieren in der Luft zurückließ. Nichts war mehr da, als das Gleißen der Schienen und Telegraphendrähte.
    Entfernungen, dachte Erwin, gibt es nicht für dies faule Volk. Sie bauen sich mächtige Maschinen, blitzblanke Kolosse voll wiehernder Pferdekräfte und brechen damit durch Länder von der Größe europäischer Fürstentümer, die an ihren Schiebefenstern vorüberflitzen wie bei uns die Kilometersteine.
    Nach dem Schienenstrang hörte der Wald auf;und er hatte noch eine sonnige Strecke vor sich. Er war so in Gedanken versunken gewesen, daß das unaufhörliche Knattern der Motore auf der Straße ihm nicht mehr aufgefallen war, als ein stehendes Geräusch, dessen man sich nur erinnert, wenn es aufhört. Links öffnete sich eine Bucht von stagnierendem Wasser, das sich bald als breite, bald engere Mulde im Holz verlor. Es war kein Jungholz mehr, es waren ältere Tannen, die ein Waldbrand, der vor 15 Jahren diese ganze Gegend verwüstet, verschont hatte, wie denn überhaupt der ganze Baumbestand freundlichere, vielseitigere Formen anzunehmen begann, je mehr er sich dem Kurort näherte. Das Wasser war der See Carasaljo, dessen Name ihnen damals wie Musik in die Ohren geklungen. Nun, etwas Besonderes war er keinesfalls. Es war zwar ein Natursee, aber er sah nach einem Gelegenheitsgewässer aus, wie es Fabrik-Staudämme erzeugen. Er hatte etwas Künstliches, trotzdem sich auf den Prospekten Berufsphotographen fleißig damit beschäftigten, ihn in allen Beleuchtungen und von seinen liebenswürdigsten Seiten zu zeigen.
    Das französisch abgestufte Dach eines pompösen Landhauses schaute von der anderen Seite über die Wipfel; neue Häuser traten hervor, schmiedeeisern umgitterte Beete blitzten auf, und wie eine seltsame Offenbarung, wie eine Perle in der Wüste, trat auf einmal aus der deprimierenden Kümmerlichkeit der Gegend verwirrender Luxus hervor.
    Erwin war bald im »Dorf«. Das erste, was er tat, war zu der Kraftstation zu gehen, um die Erneuerung des Telephons nach seinem Häuschen zu beantragen. Man versprach ihm, es sobald wie möglich zu legen, freilich, über die Zeit, die es dauern könne, erlaubte man sich ein leichtes Achselzucken.
    Ja, es gäbe viel zu tun; verschiedene neue Herrschaften von New York hätten sich niedergelassen ... So müßten sich Leute, die in Spruce-Street... (hier huschte ein schnelles Lächeln über die hölzernen Gesichter) ...wohnten, ein wenig gedulden.
    Als Erwin ging, fühlte er sämtliche Augen des Bureaus auf seinen Rücken geklebt.
    Er ging nun noch zum Fleischer, zum Kolonialwarenhändler, zu einigen anderen Leuten und erwirkte es nach einiger Überredung, daß man ihn zweimal wöchentlich mit Material versorge. Er müsse jedoch einen Aufschlag entrichten, meinte man, denn in die Gegend, wo er wohne, schickten sie selten ihre Buggies. Zum Schluß hielt er sich noch etwa eine halbe Stunde in der Ortschaft auf... Sie war, wie alles in den Vereinigten Staaten, quadratisch angelegt; jeder Block hatte eine oder zwei rote nüchterne Methodistenkirchen an den Ecken. Da war die allbeliebte Drogerie mit ihrer blitzblanken Bar, wo es Fruchteis mit Soda gab; hier war ein aus Majolika errichtetes Häuschen, wo die Standard Oil Comp. gegen Einwurf von Fünfzigcentstücken Benzinautomatisch verabfolgte. Dort waren die

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