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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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nächsten Tage waren ereignislos. Die Eindrücke der ersten Zeit wiederholten sich. Wieder nach Lakewood zu gehen hatte Erwin keine Lust und Mildred begann sich mit der Bibliothek des Hauses zu befassen und fischte sich diesen oder jenen Autor heraus, den sie noch unvollständig kannte, wie Merriman oder Hichens. Schon nach zwei Tagen kam es ihnen zum Bewußtsein, daß man sich inmitten der Zivilisation ohne Telephon einsamer als Robinson fühlen könne, der doch immerhin noch seineschmucke Insel hatte, die ihm Abwechslung verschaffte.
    Die Lieferanten schickten ihre Waren zweimal in der Woche, und die Ankunft des Buggys, die sich einmal mit einem erstorbenen Zittergreis auf dem Bock vollzog, das andere Mal mit einem weißblonden halbnackten Knaben, dem die Fähigkeit zu denken durch den stets geöffneten Mund entwichen zu sein schien, – stellte keine wellenschlagende Verbindung mit der brausenden Außenwelt her.
    Es kam ihnen fast so vor, als seien sie auf den Rand eines großen Zinntellers geraten, von dem hinunter ins Bodenlose zu purzeln eine Kleinigkeit sein müsse.
    Fast jeder Dampfer hatte zurzeit seine Antennen, die vom Murmeln aus allen Ecken der Welt erzitterten. Besonders jetzt hingen solche Drähte in einer schicksalsschwangeren Atmosphäre, in der jedes der Luft anvertraute Flüsterwort ein schwebendes Gas entzünden konnte. Die Beiden aber in ihrem nach bequemer Neuzeit duftenden Landhäuschen waren einsam wie im Boot auf uferloser See, einer See von jungen Fichten.
    Es wohnten ja Menschen um sie herum, aber diese Menschen schienen ihnen unerreichbar, wie hinweggerückt und in ihren Gebärden seltsam verzerrt wie hinter konvexen Fenstern, die zuweilen Hand oder Profil anschwellen oder sinnlos schrumpfen lassen und jeden Laut hermetisch absperren ... Es schien, als müßte erst dasKryptogramm gefunden werden, das auf die Empfängerstation der halb eingeschlafenen oder seltsam verzwickt denkenden Gehirne ringsum wirken konnte.
    In diesen toten Tagen geschah es auch, daß die Hitze ständig wuchs.
    Man näherte sich der Mitte des Juli und für diese Jahreszeit waren, selbst für die trockene Gegend von Lakewood, zu wenig Niederschläge gekommen. Erwin und Mildred jedoch hatten sich in der Zeit ihres bisherigen Aufenthaltes eine gewisse Unempfindlichkeit gegen Hitze angewöhnt noch dazu war es ja trockne Hitze, die viel weniger ermüdet als tropische.
    Er erinnerte sich der zerarbeiteten Farmershand auf dem Wegweiser, der nach dem › Paradise-Park ‹ wies.
    »Ich glaube«, meinte er, »wenn wir uns vornehmen, nicht zu ermüden, bis wir irgendwo hinkommen, wo es wenigstens Laubbäume gibt, so kommen wir doch noch auf unsere Kosten.« –
    Seitlich jenes Wegweisers, hatte er bemerkt, schlängelte sich ein Pfad in den Wald hinein. Sie schöpften einige Hoffnung, daß dieser Weg nicht gerade war, sondern anscheinend wahllos auf dem Grund eines früheren Trapper- oder Indianerpfades entstanden. Kurz entschlossen bogen sie ein und fingen an schweigsam und zäh zu marschieren.
    Nach einer halben Stunde hatten sie Fichten um sich, nach einer weiteren halben Stunde mehr Fichten und nach zwei Stunden, als sie sich aufseufzendauf den trocknen, von Nadeln spärlich bedeckten Boden niederließen, eine geradezu unermeßliche Masse von Fichten. Es waren immer diese jungen, bleistiftähnlichen Stämme, die einen dürftigen Ausblick ließen von vielleicht einer halben Meile nach allen Seiten in den Wald hinein.
    Kein Wässerlein sprudelte, kein Fuchs huschte vorüber; keines Rehes feine Schnauze schob sich witternd zwischen Zweigen hervor; kein aufgeschrecktes Haselhuhn brach polternd aus dem Unterholz. Nein, was sie aufscheuchten, waren Stechfliegen oder Laufkäfer, die grün und golden aufblitzend vor ihnen aus dem Boden stiegen, eine kurze Strecke geradeaus schwirrten, immer vor ihren Füßen, und dann wie durch Zufall neben den Weg gerieten. Nur als sie sich wieder auf den Rückweg machten, sahen sie einen huschenden weißbraunen Schatten zwischen den Stämmen verschwinden und trösteten sich mit dem Gedanken, daß dies doch vielleicht ein Stück Wild gewesen sein könne–: bis sie auf klobige Spuren im Sand trafen, deren einzige Lösung nur einen Hund bedeuten konnte.
    Der Moment, wo sie sich umdrehten, ohne irgendetwas erreicht zu haben, war wiederum von jenem unerträglichen inneren Stöhnen des Gefangenen begleitet, der eine Lücke zu öffnen sich müht. Denn ein Seitenschritt in den Wald von dem schwach

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