Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
zaubrischem Zetern (sie kopierte es hier) – etwas Unverständliches verlangt habe... Nun aber wisse sie Bescheid und habe sich darüber beruhigt, wenn sie sich auch vor dem Kinde grause, das ihr sicher im Traum wieder begegnen werde‹.
    Erwin lachte sie aus, aber die Negerin, mit wütend-beteuerndem Kopfschütteln (wobei die Furcht das ganze Email ihrer Augäpfel hervorlockte) – verschwor sich, sie ließe sich auf nichts ein mit jener Familie. Man habe ihr dort auch Eier umsonst angeboten, aber sie wolle von Leuten, denen die Bleichsucht aus den Gesichtern schimmere, nichts geschenkt bekommen...
    Das Erlebnis mit diesen Nachbarn beschäftigte sie noch den ganzen Tag, man hörte sie murmeln oder sah sie beim Holzholen rundäugig um dieEcke spähen, als ob sie auf dem Sprung sei, bei einem plötzlichen Wiederauftauchen des bresthaften Kindes die Flucht zu ergreifen. In der Tat hörte Erwin, als er später in seinem Zimmer Bücher und Schriften ordnete, seltsam klagende Rufe aus dem Walde dringen wie die eines herrenlosen Tieres. – – –

Der »Kurort«
    Für die ersten Tage des Aufenthaltes hatten sie genug Lebensmittel im Hause gehabt. Nun aber schien es nötig, dauernde Verbindungen mit den Händlern im Ort anzuknüpfen, um sie regelmäßig geliefert zu bekommen.
    Erwin machte sich daher am nächsten Morgen auf den Weg. Er beschloß, den abschneidenden Fußpfad durch den Wald nach der Überlandstraße zu benutzen.
    Er war etwa zwanzig Schritt weit gegangen, als ihn etwas, das man vielleicht noch ein Gesicht nennen konnte, aus den Büschen von der Seite her anstarrte. Es zog sich blitzschnell zurück und ein Rascheln verklang, wie das einer plumpen Eidechse.
    Erwin hatte einen kurzen eisigen Schreck verspürt, und der eigne Schreck machte ihm die Angst der Negerin begreiflich. Es war das Gesicht eines Frosches gewesen an einem menschlichen Hals; das Antlitz eines Geschöpfes, dasdie Züge einer frühen Embryonalstufe beibehalten und grotesk entwickelt hatte. Könnte man nicht, dachte er, diesem Gesicht menschliche Form verleihen, wenn ein Arzt die Sache in die Hand nähme? ... Doch – sinnierte er – ist es der Mühe wert, hier einzugreifen? – Das quäkt, ißt, schläft, und hat sein reptilhaftes Wesen hier im Walde; wer weiß, ob wir es jetzt besser haben! – –
    Er kam durch spärliche Lichtungen, doch immer, wohin er trat, verfolgte ihn der mulmige Sand. Die Vegetation war reich an Bodengewächsen, doch hatten die Blätter alle etwas Blankes, Erstarrtes, als ob nie ein Windhauch sie getroffen hätte. Tierspuren bemerkte er kaum, nur die einzige Kuh der Sektierer hatte ihre Andenken hier und da zurückgelassen, die von Schmeißfliegen in allen Farben schillerten.
    Endlich kam er auf eine kleine Böschung und trat auf die Straße heraus. Es war die große Überlandstraße nach Atlantic City.
    Sie war sehr breit und die Automobile hatten sie platt gefahren und stellenweise mit Öl bespritzt. So machte sie einen gewissermaßen wohnlicheren Eindruck wie die Spruce-Street, obschon sie bereits um diese Zeit ziemlich belebt war, nicht von Menschen, aber von Maschinen. Bei der nächsten Parallelstraße bemerkte er mit Erstaunen, daß eine Negerkolonie sich dort befand. »So kommt wohl Madleen auf ihre Rechnung, vorausgesetzt, daß sie sich als Kubanerin nichtals etwas Besseres vorkommt als diese schlichten Schwarzen hier,« dachte er. »Auf alle Fälle, wenn sie an Angstzuständen leidet, ist ihr Volk zur Hand. – – Oder,« grübelte er, »sollte auch in einer Negerseele eine Art Vereinsamung Platz greifen, die entfernt mit Individualität in unserem Sinne Ähnlichkeit haben könnte?«
    Die Sorte von Negern, die hier wohnte, war allem Anschein nach arm. Sie zogen das Wenige, was sie brauchten, mühsam aus dem Sandboden und hatten sich ihrer Weise nach relativ häuslich eingerichtet; aber aus all den bretternen Bungalows grinste ein staubdürrer Zerfall, den müde Hände nur zuweilen verzögerten, um dann schlaff in die Schöße zurückzusinken. Eine fette, schmatzende, dumpfe Genügsamkeit erfüllte dieses schweigsame Viertel, zuweilen von gurrenden Lauten und dem Geklapper von Blechtöpfen durchtönt, und von grellen Farbflecken ausgehängter Wäsche durchblitzt. Ein paar ältere Neger in zerfransten Hosen und zerschossenen Leinenjacken rieben ihre grauen Wollköpfe an den Verandastufen und die Sonne lockte metallenen Glanz aus den Amuletten, die sie im Kraushaar ihrer ausgemergelten Rippen trugen. Das

Weitere Kostenlose Bücher