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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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langweiligen, korrekt gekleideten Männer, deren Kinnbacken Tabak oder Gummi zerkleinerten. Da waren die üblichen Matronen mit ihren Waschblusen und verwaschenen Gesichtern, die sich unter schrillem Näseln vor ihren Haustüren unterhielten; waren flachshaarige, nacktbeinige Kinder, ihren Erzeugern wie aus dem Gesicht geschnitten und mit der Ausdruckslosigkeit von Generationen in sommerfleckigen Gesichtern; – kleine Mädchen oder pumphosige Knaben, die mit storchähnlichen Schritten die Tretmühle zwischen Kirche, Haus und Schule durchmaßen; kurz, es war die Ureinwohnerschaft, das dürftige Skelett Lakewoods, wenn man den Zauber, den der Name »Kurort« verlieh, wegblies. Es war die kleine Bahnstation und weiter nichts.
    Die großen Gebäude, wie das Laurel House mit seinen sechs Stockwerken, das einen ganzen Block bedeckte und mit seiner Unzahl von grünverschalten Fenstern etwas von einem erblindeten Koloß hatte, sowie die prächtigen Sandsteinvillen schienen nur durch Zufall hierhergebaut; es war, als ob ein Knabe zwei Spielzeugkästen durcheinandergeworfen habe...
    Das geistige Leben Lakewoods schien sich in Lichtbildtheatern zu erschöpfen, deren es eine erkleckliche Menge gab und die jedenfalls abends eine marktschreierische Reklame mit bunten Glühlämpchen zustande brachten. Jetzt aber gemahnten die nackten Gestelle mit den farbigenverstaubten Gläsern an einen ländlichen Jahrmarkt nach einer Feuersbrunst. Zusehends bekam Erwin diesen Ort zum Erbrechen satt und machte sich auf den Heimweg. Eine flüchtige Erinnerung an Wiesbaden oder Homburg schwirrte ihm durch den Sinn. Sanftes Schluchzen entstand im Hintergrund seines Gedächtnisses wie vor Zeiten, wenn es zu regnen begann; wenn eine europäische Kurpromenade sich plötzlich vom Leben entleerte und all die bunten Schirme wie durch Zauber grausam verschwanden. Wie im Rhythmus desselben Schluchzens zogen weiche deutsche Hügel an seinem inneren Auge vorbei; sanft einladende Wellenlinien voll traumhaft schöner Wege...

› Paradise-Park ‹
    Er hatte die Augen halb geschlossen. Nun riß er sie auf und blickte in die weiße Glut der Straße, die er mechanisch schon wieder bis zur Hälfte zurückgelegt.
    Nach Überholung der Negerkolonie überlegte er sich, ob er wiederum den Seitenpfad benutzen solle, um zu seinem Haus zu kommen; aber der Gedanke an eine abermalige Begegnung mit dem froschähnlichen Geschöpf hielt ihn ab.
    An der Ecke der Spruce-Street blickte er nochmals zurück und gewahrte einen großen Wegweiser, der in schreienden Buchstaben auf einen Park hinwies, der sich offenbar in der Nähebefand. Er hieß › Paradise-Park ‹ und zwei mächtige Zeigefinger, peinlich ausgemalt mit spitzen Nägeln und faltiger Haut (wobei dem Künstler offenbar eine Farmershand vorgeschwebt), ließen keinen Zweifel über die Richtung.
    »Paradiespark,« dachte Erwin. Es war wie eine kurze Erlösung, das Wort genießen zu dürfen. Vielleicht haben sie sich irgendwo Mühe gegeben, daß Quadratische dieser Gegend durch eine Rundung zu verklären; denn es wäre ein starkes Stück, das Wort »Paradies« zu mißbrauchen... Gehen wir morgen doch einmal hin, beschloß er; denn eine Rettung muß es doch geben jenseits dieser Straße...
    Zum erstenmal war ihm wieder der entfesselte Verkehr klar, der hier eine Bresche quer durch diesen meilenlangen Wald geschlagen. Fasziniert, halb betäubt stand er noch eine Weile still.
    Mit der Regelmäßigkeit eines großen Uhrwerks, dessen schwingenden Pendel man sich hoch im wabernden Blau aufgehängt vorstellen mochte, – von wo aus er mit seinem Ende die Straße in scheußlicher Regelmäßigkeit streifte, – tauchten Staubfäden auf, die sich qualmend verdickten, abplatteten und wieder zurücksanken. In diesen aufwirbelnden Staubbänken stak ein schwarzer Kern, wie ein dunkler Komet, der einen Schwanz mit sich riß von Benzingestank und umherspritzenden Steinen; und jeder dieser schwarzen Kerne war ein Automobil, auf Höchstleistung eingestellt und schnurrend wie eine große Bremse.
    Da kamen »Ford«-Wagen mit ihrem blechernem billig-ratterndem Takt; kamen Limousinen mit wehenden Gesichtsschleiern wie mit Fahnen annonciert; klobige, stumpffunkelnde Dinger, die mit leichtem Zirpen, unter dem ein gedämpftes Donnern stand, Meilen fraßen; »Hudson Super Six's,« »Cadillac's,« »Maitland's,« »White's« und wie sie sonst hießen... Er kannte sie heraus an ihrem charakteristischen Geräusch. Es war eine dämonische Hetzjagd,

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