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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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flüchtigem Lächeln. »Ein energischer Mann, wie? Viel unterwegs gewesen? Kennen Sie ihn schon lange?«
    Erwin raffte seine ganze Geistesgegenwart zusammen. »Beträchtliche Zeit«, erwiderte er zögernd. »So richtig kennen gelernt habe ich ihn noch nicht; aber ich habe den Eindruck, daß er ein sehr anständiger Mensch ist.«
    »Wundert mich, daß Sie sich vertragen,« meinte Devanney sinnend. »Er ist doch so verschieden von Ihnen.«
    »Ja, ich führe ein zurückgezogenes Leben, und da hat er eine gewisse Abwechslung für mich bedeutet.«
    »So, kommt er jetzt noch häufig zu Ihnen?«
    »Nein, er hat anscheinend viel zu tun und wir haben uns nur zuweilen telephonisch unterhalten. Er hätte vielleicht wissen können, daß es mit meiner Heimreise ja nur eine hübsche Phantasie war; aber ich wollte es doch versuchen, weil er mir so zuredete.«
    »Er hat Ihnen stark zugeredet? Sie sollten wohl Grüße an seine ... Eltern überbringen?« Devanneys Augen drehten sich zur Decke.
    »Ich sollte gar keine Grüße überbringen. Es war reine Sympathie von seiner Seite. Er dachte sich in seiner schlichten Art, daß mir drüben viel mehr Stoff für meine Bücher zufließen würde als hier.«
    Das Telephon schrillte. Devanney lauschte, dann bellte er hinein: »Zu Donagan, alle sechs, dritter Grad.«
    »Dritter Grad?«, fragte sich Erwin. Eine eiskalte Hand griff ihn ans Herz. »Sind wir im Mittelalter?« –
    Bedeutete dieser Ausdruck nicht das Äußerste an moralischer Folter, das die Polizei bei verdächtigen Leuten hier anwandte? Man setzte sie zwischen drei Männer, die starke Stimmen hatten; diese brüllten ihnen abwechselnd Fragen ins Ohr, schlaue peinlich suggestive Fragen, die mit schauerlicher Intensität wiederholt wurden, immerschneidender, immer anklagender, bis dem armen Teufel der Kopf zersprang und er sich zu allem bekannte, was man von ihm hören wollte.
    Und dieser gemütliche Greis hier, der so reizend, so teilnahmsvoll mit ihm sprach, war ein Advokat des fünfzehnten Jahrhunderts?! Hier, wo alles nach den Methoden von übermorgen geregelt war? – Wo gewisse Ansätze der äußeren Lebensführung schon ins einundzwanzigste Jahrhundert hinüberreichten? – Wo Puritanismus und blitzblanke Hygiene das Leben und die Moral desinfizierten, auf das Kindlichste zurechtstutzten, treuherzig und viereckig machten? – Hier »Dritter Grad?«
    »Dritter Grad?«
    Wie kamen die wölfischen Urbedürfnisse des Menschen aus der reinlichen Verpackung wieder hervor!
    Ihm schauderte.
    Devanney schmunzelte. »Wir haben da ein paar Leute deutscher Abkunft (muß ich leider sagen), die spionageverdächtig sind, und wer sich einmal der Bequemlichkeiten dieses Landes bedient, der hat gewisse Verpflichtungen gegen uns, finden Sie nicht? Es ist nicht schön, uns nur auszunützen und uns dann, wenn wir in einen unbequemen Krieg verwickelt sind, entgegenzuarbeiten. Wir müssen da leider auf Rücksichtnahme verzichten. – Übrigens«, fuhr er fort, »nehmen Sie eine Zigarre und machen Sie sich's noch ein Weilchen hier gemütlich. Dieses Landverlangt Loyalität. Da gab es einmal einen zehnjährigen Tunichtgut in County Kerry; der brannte nach Dublin durch und kam als schmutzbespritzter Heizer vor sechzig Jahren nach Hoboken. Ein kleiner Sinn-Feiner mit dem viereckigsten Schädel, den Sie sich vorstellen können. Er wurde herumgeknufft, aber er biß sich überall fest; denn gute Zähne hatte er. Dies Land kennt keine Kompromisse. Energie besaß er und eine natürliche Politik trieb er auch. Er machte die Augen auf und es gefiel ihm hier.
    Jeder nach seinem Verdienst, heißt es hier. Wir sind Demokraten. Wo einer hingehört, da wird er hingestellt und der kleine irische Straßenjunge, derselbe, der ohne ein Cent in der Tasche an Land trieb« – (und der Marshall erhob sich und riß den Aufschlag seiner Jacke zurück, so daß der große Messingstern seiner Amtswürde, der ihm an die Weste geheftet war, in voller Pracht hervorblitzte) – »derselbe sitzt hier vor Ihnen und ist Marshall Attorney von Cincinnati. Wenn ich will, passiert hier allerlei, das können Sie glauben. Ich habe mehr zu sagen wie der Mayor oder der Chief of Police. Selbst der Gouverneur faßt mich mit Handschuhen an.
    Hier in dieser Schublade liegen die dicken Befugnisse, die ich vom Staatsdepartement bekommen habe. Sie können sich gratulieren, daß ich Sie gern habe. Mit Leuten, die wir nicht mögen, gehen wir manchmal sehr ungemütlich um; aber wenn Sie klug sind,

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