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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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werden Sie sich uns warmhalten, und so denke ich, scheiden wir für diesmal als gute Freunde.« Erwin verabschiedete sich und ging bis zur Tür.
    »Nur noch einen Moment«, rief ihm der Marshall nach.
    »– ? –«
    »Sagen Sie, Herr Notacker, wie ist doch der Vorname Ihres Freundes – (wie heißt er doch?) – Söckswert?«
    Als Erwin gegangen war, machte der Marshall ein Schublädchen seines Schreibtisches auf und entnahm demselben den Brief, der in Erwins Handschrift an Zuckschwerdt gerichtet war. Beigefügt, auf Seidenpapier, lag eine zierliche englische Übersetzung. Schmunzelnd überlas der Marshall noch einmal dieses Briefchen und dann murmelte er vor sich hin: »Woher er nur den Instinkt hat? – Wer von den beiden ist nun der Dumme?«

Die Katastrophe
    Erwin war sich vollständig klar, als er zu Hause angelangt war, daß Gewitterwolken über dem Haupte des Leutnants hingen. Er fühlte die Verpflichtung, ihn telephonisch zu warnen und ihn von seinem letzten Interview mit dem Marshall in Kenntnis zu setzen.
    »Es wäre das beste, wenn wir uns überhaupt nicht mehr sähen,« meinte er, »denn ich schade Ihnen und Sie schaden mir und der alte Kerlsucht jetzt nach einem Anlaß, um Ihnen ein Bein zu stellen. Das habe ich neulich gemerkt. Das beste wäre, Sie verschwänden unauffällig von der Bildfläche und tauchten in einer ruhigen anderen Ausgabe irgendwo in New York oder sonstwo wieder auf.«
    »Fällt mir gar nicht ein,« dröhnte die Stimme durchs Telephon. »Der Zuckschwerdt macht immer noch, was er will. Bluff ist das, was Sie da zu hören gekriegt haben, nichts als Bluff. Mich und einschüchtern?! – Gibt es gar nicht. Im übrigen, wenn man mich fragt, wer von uns beiden der Schlappere...«
    Erwin hing das Hörrohr an und schloß innerlich mit der Bekanntschaft ab. Doch sie wirkte weiter.
    Er zog sich fast einen ganzen Tag lang in sein Schneckenhaus zurück, um über Zuckschwerdt nachzudenken und sich darüber klar zu werden, warum er einen wachsenden und unverhältnismäßigen Haß gegen ihn spürte.
    An sich betrachtet (das war er sich klar), würde diese Figur in Mitteleuropa oder an der Front nicht im geringsten aus dem Rahmen gefallen sein. Aber war es nur der wesensfremde Hintergrund, der sie so scharf hervorhob und ihre unangenehmen Seiten in so grelles Einzellicht setzte? Hatte dieser Mann nicht auch eine Menge liebenswürdiger Eigenschaften? War er kein netter Plauderer? Hatte er nicht durch viele kleine Galanterien versucht, sich das Herz Mildreds zu erobern,ohne auf irgendwelche Gegenleistung zu rechnen? Nein, die Wurzeln dieser tiefen, ihn fast unglücklich machenden Antipathie mußten tiefer liegen. Es war der Haß gegen das Symbol.
    Ich habe ja auch diese Eigenschaften an mir, dachte Erwin. Ich habe meine primitiven Momente, wo sie geweckt werden. Aber ich halte vielleicht solche Teile meiner selbst besser in Schach, besser im Zusammenhang mit den anderen, die ein gewisses Gegengewicht sind; – mit Produktivität, einer, wenn man will, Wechselwirkungen erzeugenden Geistigkeit. Dieser Mann aber besteht aus einer einseitigen Ausbildung von purer animalischer Kraft.
    Er ist der Draufgänger, er ist die Konkurrenz und der offene Verzicht auf höhere Werte. Sollte der fanatische Schulmeister in Washington doch den Finger auf einen Punkt gelegt haben, der uns nottut?
    Wenn man diesen Deutschen sieht, so glaubt man fast, daß Wilson recht hat. Nimm deinen Finger aus der Wunde, deinen runzligen steifen Finger, Professor! Bist du wirklich ein Prophet?
    Er suchte ein paar der letzten Reden hervor und verschlang sie noch einmal mit dem Auge. In einer peinlichen Folgerichtigkeit ketteten sich die wundervoll gebauten Sätze aneinander. Scholastisches Englisch, prunkend von wirkungsvollen Archaismen, in einer eindringlichen, nimmermatt gehäuften Tautologie... Wie berauscht sich doch dieser Bilderstürmer an seiner Utopie!
    Wäre es denkbar, wäre es wirklich denkbar – (und seine Hand zerkrampfte das ciceronianische Prunkstück der »Predigt vom Mount Vernon«) –, daß es dieser Hörsaalfigur, diesem steifen Bakelschwinger über Nationen, diesem Pfaffen der Demokratie, der völkische Vorurteile mit einem Strich roter Tinte auszumerzen sich erkühnte, – daß es diesem Manne wirklich gegeben wäre, das Tor zu einer neuen unerhörten Epoche aufzureißen?
    Freilich neben seinen abstrakten und unendlich berauschenden Gedankengängen nimmt sich der Haufe von erbosten Stacheltieren, die da drüben

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