Der neue Daniel
Gesicht springt. Dann aber, da auch Mildred eine gewisse Schärfe im Ausdruck trug, die Erwins Bemerkung unterstrich, wurde er plötzlich sanft und sagte unterwürfig: »Natürlich, freilich, ich für meinen Teil kann mir das ja leisten; aber es ist möglich, daß Sie Unannehmlichkeiten haben. Verzeihen Sie.«
Von jetzt ab redete er gedämpfter; aber es gelang ihm nicht mehr, das Interesse zu verwischen, das er auf sich gelenkt hatte. Er war eine Weile stumm und trank vier Gläser des kalifornischen Weines mit halbergrimmtem Ausdruck herunter.Dann begann er leise über den Wein zu schimpfen, nannte ihn Essig, erklärte, »die Stimmung sei ihm verdorben und man müsse schon entschuldigen. Überarbeitung habe ihn etwas nervös gemacht,« – und was dergleichen mehr vorzubringen war.
Als Erwin alles ins Geleise gebracht glaubte, leistete sich Zuckschwerdt jedoch plötzlich noch etwas, was den ganzen Eindruck des mühsam aufgebauten Kartenhauses wie ein Sturmwind umwarf. Er wollte gehen, und er drehte sich um und rief mit heller sonorer Stimme das deutsche Wort: »zahlen!« in den vollen Raum hinein.
Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es die Menge. Es gab wenige, die deutsch konnten; aber soviel hörte man, daß es nicht italienisch oder französisch gewesen, was Zuckschwerdt gerufen. Es meldete sich niemand.
Der Aufseher, ein etwas aufgeschwemmter, schwarzhaariger Charakterkopf hinten im Saal hob das Kinn und kratzte sich mit leichter Verlegenheit hinter dem Ohr, wobei der große Brillantring an seinem Finger blitzte. Die zwei in ihr Geschäftsgespräch vertieften unauffälligen Herren, schon am Ausgang angelangt, fuhren herum wie von der Tarantel gestochen. Es war, als witterten sie eine plötzliche Attacke, gegen die alle Verstellung nutzlos sei. Natürlich glätteten sie sich sofort wieder zur früheren Unscheinbarkeit. Aber vier stechende Augen hinterließen eine Atmosphäre, die von anderen Beobachtern kaum mißdeutet werden konnte.
Erwins Herzschlag hatte für einen Moment ausgesetzt. Auch Mildred hatte sich nicht versagen können, ihre Faust zu krampfen, daß ihr die Nägel fast ins Fleisch drangen, und herüberzuzischen: » You fool! «
Zuckschwerdt blickte eine Weile, wie aus dem Schlaf erwachend, um sich; dann zwinkerte er und sagte ganz gemütlich: »Ja Pardon, ich hatte im Moment vergessen, wo ich war.«
Er erwartete einen Scherz, doch der Scherz blieb aus. Er blickte in das Gesicht Erwins, doch es war nicht mehr Erwins Gesicht, es war etwas Maskenhaftes, was er dort bemerkte; eine große Abkehr; eine Fremdheit, die ihn wie mit eisiger Welle überschwemmte. Man zahlte und ging. »Wenn Sie so etwas noch einmal machen,« belehrte Erwin die kleiner gewordene Figur, die neben ihnen herschritt, »so ist es mit unserer Freundschaft ein für allemal aus.«
»Sie nehmen das zu tragisch,« setzte der Leutnant dagegen.
»Hin und her,« erwiderte Erwin, »setzen Sie sich doch endlich einmal in den Kopf, daß es Rücksichten gibt.«
Zuckschwerdt brummte Unartikuliertes. Man kam, bevor man die Trambahn erreichte, durch eine öde Seitenstraße. Hier war eine Mauer mit Plakaten verklebt und das Licht einer einsamen Bogenflamme hob eines dieser Kunstwerke grell hervor. Es war »Uncle Sam« in Lebensgröße, der mit einem mächtigen Zeigefinger aus demBild heraus auf Zuckschwerdt deutete und über dessen geschweiftem Hutgebäude dick und deutlich der Ausruf prangte: » I WANT YOU «.
Zuckschwerdt ward bei diesem Anblick von Heiterkeit gepackt, trotz seiner Verstimmung. Er gab ein kleines glucksendes Lachen von sich. »Mich willst du, alter Schuft!« meckerte er und erhob den Stock, »mich willst du in deine Kakhimannschaft einreihen? – Das könnte dir passen! Nein, mein Lieber, daraus wird nichts, dazu bin ich zu gut,« und er nahm seinen Stock und zerfetzte den Onkel Samuel von oben bis unten.
Erwin und Mildred gingen, ohne ein Wort zu sprechen, weiter. Noch immer meckernd an den Pfosten der Lampe gelehnt, hielt Zuckschwerdt Zwiesprache mit der erstaunlichen Erscheinung, die ihn so ohne weiteres beanspruchen wollte. Er versuchte zwar noch nachzukommen; aber es gelang ihm nicht ganz. Sein Stechschritt führte ihn diesmal nach Richtungen, die er nicht beabsichtigte, und so gelangte er auf eine leidlich friedliche Weise um eine andere Ecke herum.
Ob ihm weitere Schicksale erspart blieben, war für diesen Augenblick unklar; doch es schien, daß er trotzdem Aussicht hatte, für diesmal unbehelligt nach Hause
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