Der neue Daniel
ich bin eine friedliche Natur, trotzdem ich manchmal gewissen Leuten, die wir so nächtlicherweise in den Saloons abfangen, unbequem werden kann. Trage mein Teilchen dazu bei, Ordnung zu schaffen in gewissen Distrikten und darin besteht mein ganzer Militarismus. Sie schreiben Ihre Bücher und widmen sich Ihrer Familie und dann werden Sie in Ruhe gelassen; und ich erfülle meine kleinen Obliegenheiten, und man läßt mich dann auch in Ruhe. Es wird mich freuen. Sie wiederzusehen.«
Erwin verbeugte sich und ging.
Der Marshall blickte ihm nach und in seinen Augen war ein Glanz wie von Zinn.
Die Eröffnung, daß es doch nichts mit der Abreise sei, wurde von Mildred ziemlich stoisch aufgenommen.
»Ich hatte mir auch inzwischen überlegt,« sagte sie, »daß es nicht so schnell gehen würde, besonders weil du dich mit einem Mann wie Zuckschwerdthinbegeben hattest. Zuerst dachte ich ja, er hätte die richtige Methode; nun aber wird es mir doch klar, daß er nicht der Mann ist, der auf du und du mit den hiesigen Gewalthabern steht. Es sollte mich nicht wundern, wenn der Marshall so ein kordiales Benehmen innerlich schlecht vermerkt hat. Dich mag er ganz gern, das schließe ich daraus, daß er mit dir plaudert und sich sogar wegen des Krieges entschuldigt. Das ist eine reizende kleine irische Verlogenheit, denn er weiß, daß das Heil für Irland einmal irgendwie von euch kommen muß.«
Mit ihrer nüchternen Denkungsart hatte sie wieder den psychologischen Kernpunkt der Frage erfaßt. Denn das nächste Mal, da Erwin den Marshall sah, erhielt er die Bestätigung.
Es war ein Edikt herausgekommen, daß sämtlichen nichtbeheimateten Deutschen auferlegte, sich für jeden Gang, den sie von ihrer Wohnung aus in die Stadt unternahmen, einen Erlaubnisschein, oder einen stehenden Freipaß für die kürzeste Strecke zwischen ihrer Wohnung und dem Ort, wo sie beschäftigt waren, zu erwirken.
Erwin besuchte regelmäßig seinen Buchhändler, so daß man wohl von einer dauernden Verbindung sprechen konnte. So kam er wieder in das Bureau. –
In den Vorzimmern wurde er diesmal aufmerksamer betrachtet als sonst.
»Wie machen Sie es nur,« fragte ihn einer der Beamten dort mit schlauem Lächeln, »daß derMarshall Sie so ohne weiteres zu sich kommen läßt? Was knobeln Sie da drinnen miteinander aus? Sie müssen ein schlauer Fuchs sein!« und er zwinkerte mit dem Augendeckel.
»Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen,« erwiderte Erwin in schöner Gelassenheit. »Wenn Mr. Devanney so liebenswürdig ist, Interesse an meiner harmlosen Person zu nehmen, so hat das nichts mit irgendwelcher Absicht von meiner Seite zu tun.«
Der Beamte fuhr fort mit dem Auge zu zwinkern und begab sich mit skeptischem Laut durch die Nase an seinen Platz zurück.
Wie müssen sie den kleinen Alten dort hinten fürchten, dachte Erwin.
Er sah eine Reihe von Deutschen, die sich an den Schaltern anstellten und angeschnauzt wurden, daß es schallte. Es waren meistens schlichte Leute, des Englischen nicht ganz mächtig, die mit einer gewissen Schadenfreude von diesen untergeordneten Schaltertyrannen in Ratlosigkeit hineingehetzt, zum Teil roh und sarkastisch behandelt wurden. Er selbst ging anscheinend frei aus und ein.
»Es scheint, ich stehe mit Onkel Samuel auf sehr intimem Fuß«, dachte er. »Käme es auf dieses Bureau an und auf diese Deputies hier, so säße ich vielleicht schon morgen im Gefängnis oder Internierungslager.«
Der Marshall empfing ihn fast noch freundlicher als sonst und gab ihm die Erlaubnis, zwischen seinem Hause und dem Buchladen hin- undherzufahren, ohne weitere Schwierigkeiten. Dann sagte er: »Ich möchte noch eins bemerken. Setzen Sie sich.«
Alle Augenblicke platzten Leute zur Tür herein. Schreibmaschinendamen kamen mit Kopien, die seine Unterschrift erheischten. Er hackte sie mit kratzender Feder darunter. Detektive kamen und erstatteten Bericht. Er hörte mit halbem Ohr hin und machte sich zwei, drei Notizen. Das Telephon schrillte. Er bellte seinen Dialekt hinein, kurze vernichtende Ordres, und schlug dann das Hörrohr abrupt wieder an. Zwischen all diesen Beschäftigungen, die er nebenhin abwickelte, unterhielt er sich mit Erwin, so als ob dies alles in einer Zelle seines Gehirns existiere, die er nach Belieben aus- und einschalten könne, ohne die Funktionen des übrigen Denkapparats zu beanspruchen.
»Wie geht es Ihrem Freunde Söckswert?« fragte er, und seine noch gut erhaltenen gelblichen Zähne entblößten sich in
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