Der neue Frühling
allerdings schwache Autorität bei den Leuten, die sich für unverfälschte, reinrassige Abkömmlinge des Koshmari-Stammes hielten und hartnäckig am alten Glauben an die Himmlische Fünffaltigkeit festhielten.
Nein. Taniane würde die Nakhaba-Stunde selbst zelebrieren müssen. Nicht etwa, daß sie auch nur einen Tropfen Beng-Blutes in sich gehabt hätte, oder auch nur einen Augenblick lang an die Existenz Nakhabas geglaubt hätte (und schon gar nicht daran, daß er einem noch erhabeneren, noch ferneren Gott periodische Konsultationsbesuche abstattete), sondern ausschließlich deshalb, weil sie Chef der Regierung war und diese war nun einmal die gemeinsame Vertretung der Koshmaris und Beng gleichermaßen. Gemäß dem Vereinigungsvertrag war sie sogar nominelle Nachfolgerin der ganzen langen Sequenz von Beng-Häuptlingen. Also würde Taniane eben bei Sonnenaufgang zur Stelle sein und die Kerze entzünden, die dem Gott der Bengs auf dem Weg in die Wohnstatt des Schöpfergottes heimleuchtete.
Vorher aber blieb leider noch die ärgerliche Sache mit diesem Husathirn Mueri zu erledigen… Der hatte ihr, spätnachts, per Boten das Ersuchen um eine Privataudienz überbringen lassen und das dermaßen dringlich gemacht, daß ‚die Angelegenheit auch nicht einen Tag Aufschub’ erlaubte. »Eine höchsternste Angelegenheit«, hatte er gesagt. »Betreffs einer Gefährdung des Stadtstaates«, ja auch ihrer eignen Person, »die sich durch gewisse Aktivitäten deiner Tochter ergeben. In meiner Position kann ich nur nachdrücklich darauf verweisen, daß derlei Affären nicht zu unterschätzen sind.«
Zweifellos, das konnte der Mann nicht. Für Husathirn Mueri war alles eine ‚höchsternste Angelegenheit’, besonders dann, wenn sich dabei für ihn selbst ein Vorteil absehen ließ. So war der Mann nun einmal. Dennoch legte Taniane keinen Wert darauf, ihn zu vergrätzen. Er war zu nützlich – und außerdem verfügte er von der Vaterseite her über einflußreiche Verbindungen in der Beng-Bevölkerung… Und wenn Nialli in eine Geschichte verwickelt war, und wenn es wirklich ernst war, nicht bloß der Versuch, das Staatsoberhaupt auf sich aufmerksam zu machen…
Also ließ Taniane ihm mitteilen, sie werde ihn in ihrem Amtssitz empfangen, eine Stunde vor Tagesanbruch.
Als sie hinunterkam, stapfte Husathirn Mueri bereits ruhelos in dem weiten Empfangsraum umher. Es war kühl, der Himmel bedeckt, es fiel ein leichter Regen. Der Mann sah dennoch glatt und geschniegelt aus und völlig unverregnet. Sein dichtes schwarzes Fell war makellos gestriegelt, und die weißen Streifen darin, die so deutlich an seine Mutter, Torlyri, erinnerten, hoben sich besonders deutlich ab.
Als sie eintrat, verneigte er sich höchst zeremoniell und schlug das Dawinno-Zeichen gegen sie, und der götterparteilichen Ausgewogenheit zuliebe wünschte er ihr auch noch, daß Nakhabas Freude mit ihr sein möge. Dieser ganze frömmlerische Seich war ihr zuwider, besonders von ihm. Schließlich war es ja für sie kein Geheimnis, wie wenig er von den Göttern überhaupt hielt, egal ob bengischen oder koshmarischen.
Sie verzichtete also auf die Erwiderung der heiligen Zeichen und fragte ungeduldig: »Also, was ist los, Husathirn Mueri?«
»Wollen wir etwa hier darüber sprechen? Im Vorzimmer?«
»Wieso nicht? Der Ort ist so gut wie jeder andere.«
»Ich – hatte erwartet – vielleicht unter etwas weniger öffentliche Aufmerksamkeit erregenden Umständen…«
Taniane stieß einen lautlosen Fluch aus. »Also, dann komm schon! Hresh hat da unten am Ende des Gangs ein kleines Privatbüro.«
Ein nervöser zuckender Blick. »Und Hresh wird auch dabei sein?«
»Er steht mitten in der Nacht auf und geht ins Haus des Wissens und spielt dort mit seinen Sachen herum. Aber wieso? Handelt es sich um etwas, das er nicht wissen soll?«
»Das zu entscheiden möchte ich dir überlassen, Hohe Frau«, sagte Husathirn Mueri. »Mir liegt nichts andres am Herzen, als dir diese Dinge mitzuteilen, doch wenn du meinst, der Chronist sollte ebenfalls informiert…«
»Also schön. Komm!« sagte Taniane. Sie wurde zunehmend ärgerlicher. Dieser ganze Quark von Verbeugungen und Kratzfüßen und Ehrenbezeugungen vor Göttern, an die er nicht glaubte, und diese ölglatten Umschweifigkeiten…
Sie ging ihm zu dem kleinen Privatstudio voraus, und dann machte sie fest die Tür hinter ihnen zu. Der Raum war vollgestopft mit Stapeln von Hreshs Schriften, Pamphlete und handschriftliche
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