Der neue Frühling
Aufzeichnungen in Bergen. Durch das schmale Fenster sah Taniane, daß das Nieseln sich inzwischen zu einem heftigen Regen verwandelt hatte. Damit war das Festival schon mal eine Pleite. Sie sah sich schon triefendnaß im Stadion auf der Häuptlingstribüne stehen und die qualmende, spuckende Fackel schleudern, durch die der Wettkampf offiziell eröffnet wurde.
»Schön, also da sind wir«, sagte sie. »Unter vier Ohren.«
»Ich muß dir zweierlei berichten«, sagte Husathirn Mueri. »Das eine sind Informationen, die mir von den Justiz-Wachbeamten vorgelegt wurden, die auf meine Anordnung hin den Hjjk-Botschafter ständig überwachten.«
»Du sagtest aber, es handle sich um Nialli Apuilana.«
»Das ist auch der Fall. Aber ich sagte ebenfalls, daß es sich um eine Gefahr für die Stadt handelt. Ich würde das gern vorab vortragen, wenn du erlaubst.«
»Gut, dann los!«
»Dieser Gesandte, mußt du wissen, streift Tag um Tag ungehindert durch die Stadt. Vorher hatten wir ihn ja unter Hausarrest gestellt, doch der wurde auf Verlangen von Nialli Apuilana aufgehoben. Und geht der Mann herum und verdirbt unsere Jugend, Hohe Frau.«
Sie blickte ihn kalt an. »Verdirbt?«
»Er verbreitet hjjkisches Gedankengut unter den Kindern. Er predigt ihnen eine fremde Ideologie, so Begriffe wie Nest-Wahrheit, Königin-Liebe, Nest-Bindung und Ei-Planung. Du bist mit diesen Begriffen vertraut?«
»Ich habe sie gehört, ja. Jeder hat davon gehört. Aber ich weiß wirklich nicht so recht, was sie bedeuten.«
»Wenn du das wirklich wissen möchtest, brauchst du nur irgendein Kind auf den Straßen der Stadt zu fragen, besonders die ganz jungen. Dieser Kundalimon predigt täglich vor ihnen, und täglich stopft er ihnen das Hirn voll mit diesem sündhaften Unsinn.«
Taniane mußte tief Luft holen. »Du bist dir da ganz sicher?«
»Er steht unter strenger ständiger Überwachung, Edle.«
»Und die Kinder – hören sie auf ihn?«
»Edle, die hören ihm zu, und sie glauben, was er sagt. Ihre ganze Einstellung gegenüber den Hjjks hat sich verändert. Sie denken über sie nicht mehr so wie wir, und sie finden sie auch nicht abscheulich und widerwärtig. Sie sehen in ihnen nicht mehr Das Böse. Sprich mit einem der Kinder, Edle, fast jedem beliebigen Kind, und du wirst herausfinden, daß dieser Kundalimon sie dazu verführt hat zu glauben, daß die Hjjks tiefgründig und voller Weisheit sind. Fast göttergleich. Oder immerhin Geschöpfe von einer erhabeneren, besonderen Art. Der Mann predigt ihnen, wie altehrwürdig die Rasse der Hjjks ist, wie groß ihre Bedeutung in den Tagen der Großen Welt war. Du weißt doch, wie fasziniert alle Kinder auf Märchen und Geschichten aus der Großen Welt reagieren. Und da stellt sich der Kerl hin und gibt unseren Kindern zu verstehen, daß es in diesen unseren Tagen noch immer Abkömmlinge einer der sechs großen Rassen der Großen Welt gibt, die weit weg in einem phantastischen unterirdischen Schloß wohnen und keinen sehnlicheren Wunsch hegen, als uns mit ihrer Liebesbotschaft zu überschwemmen und zu beglücken…«
»Doch, ja«, sagte Taniane scharf. »Ich erkenne die Gefahren. Aber was hat er vor? Will er uns alle unsre Kleinen aus der Stadt fortstehlen – ein flötender Rattenfänger, der sie mit seiner Melodei und seinem Getanze verführt und fortlockt… durch die Täler, über die Hügel weit – bis ins NEST?«
»Soweit ich weiß, könnte genau das seine Absicht sein.«
»Und du behauptest, Nialli Apuilana ist in diese Sache verwickelt? Wie?«
Husathirn Mueri beugte sich nach vorn, bis seine Nase fast an die Tantianes stieß. »Herrin, sie ist die Geliebte dieses Kundalimon.«
»Die Geliebte?«
»Aber du weißt doch, sie geht jeden Tag zu ihm in seine Kammer, Edle. Um ihm… ah, sein Essen zu bringen und ihn in unsrer Sprache zu unterrichten.«
»Ja. Natürlich weiß ich das.«
»Herrin, manchmal bleibt sie die ganze Nacht hindurch bei ihm. Meine Wachen haben Geräusche aus diesem Zimmer kommen hören, die – vergib mir, Edle, vergib mir! – unzweifelhaft und eindeutig Kopulationsgeräusche sind.«
»Na, und wenn schon?« Taniane fuchtelte irritiert mit der Hand. »Kopulieren ist eine sehr gesunde Sache. Sie hat sich bisher nie besonders dafür interessiert. Höchste Zeit, daß sie endlich auf den Geschmack kommt und so.«
Husathirn Mueris Gesichtsausdruck versteinerte, als hätte Taniane damit begonnen, ihm einen Finger nach dem anderen abzuhacken.
»Edle…«, begann
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