Der neue Frühling
bedeuteten denn diese Worte? Sie waren doch nichts weiter als leere Geräuschhülsen. Speise ohne Nährwert.
Nialli zittert und weicht mehr und mehr in den hintersten Winkel ihres Zimmers zurück. Sie kneift die Augen zu, aber auch das hilft nicht, sie sieht immer noch diese Alptraum-Gestalten, die sich – klicckliccklick – immer näher an sie herandrängen.
Geht weg von mir!
Gräßliche, abscheuliche Insekten! Wie sehr sie sie haßt! Dabei weiß sie aber immer noch, daß es einmal eine Zeit gegeben hat, da hatte sie eine von denen sein wollen. Sie hatte sogar eine Weile geglaubt, sie sei es. Oder war das alles nur ein Traum gewesen? Nur ein Phantasma der gerade vergangenen Nacht? Ihr Aufenthalt im Nest, die Gespräche mit dem Nest-Denker, der Geschmack, den sie von der Nest-Wahrheit in sich trug? Hatte sie nicht wirklich mit Freuden unter den Hjjks gelebt, und hatte sie nicht sie und ihre Königin lieben gelernt? – Aber, wie war so etwas möglich: die Hjjks zu lieben?
Kundalimon – hatte sie auch ihn nur geträumt?
Königin-Liebe! Nest-Bindung! Komm zu uns, Nialli! Komm! Komm! Komm!
Wie seltsam. Wie fremd und feindlich. Wie schrecklich.
»Laßt mich in Ruhe! Geht weg von mir!« schreit sie. »Ihr alle! Geht weg!«
Sie starren sie vorwurfsvoll an. Diese riesigen Augen, glitzernd kalt. Du bist eine von uns. Du gehörst dem NEST.
»Nein! Das war nie so!«
Du liebst die KÖNIGIN. Und die Königin liebt DICH.
Wahrheit? Nein. Nein. Das vermochte sie einfach nicht geglaubt haben. Niemals! Sie mußten sie mit einem Zauber belegt haben, als sie im Nest war. Ja, so muß es gewesen sein. Aber jetzt ist sie frei. Und sie werden sie nie wieder einfangen.
Nialli kniet und kauert sich in sich selbst. Sie zittert. Sie schluchzt. Sie berührt ihre Arme, ihre Brüste, ihr Sensor-Organ. Ist das hjjkisch? fragt sie sich, während sie sich über ihr dichtes üppiges Fell und das warme Fleisch darunter streicht.
Nein. Nein. Und – nein!
Sie drückt die Stirn auf den Boden.
»Yissou!« ruft sie. »Yissou, beschütze mich!« Dann fleht sie Mueri an, ihr Ruhe zu schenken, und Friit, sie gesunden zu lassen und sie von diesem Fluch zu befreien.
Sie müht sich, diese schrecklichen Klickgeräusche aus ihrem Kopf zu vertreiben.
Und nun sind die Götter bei ihr, die ganze Himmlische Fünffaltigkeit. Sie spürt ihre Nähe wie einen schützenden Panzer, der sie umgibt. Einst hatte sie jedem, der ihr zuhören wollte, erzählt, daß sie nichts weiters als dumme alte Mythen seien. Aber seit ihrer Rückkehr aus den Sumpfseen waren sie beständig um sie. Und sind es auch jetzt. Sie werden obsiegen. Die Hjjks, die sich in ihr Zimmer gedrängt haben, werden nebelhaft und gestaltlos. Tränen laufen über Niallis Wangen, und sie stammelt Gebete des Dankes, der Lobpreisung zum Ruhme der Götter.
Nach einer Weile wird sie ruhig.
Auf ebenso rätselhafte Weise wie bei ihrem Auftreten ist die Verkrampfung ihres Geistes wieder von ihr gewichen, und sie ist wieder ganz sie selber. Abscheu und Ekel verschwinden. Ich bin frei, denkt sie. Aber doch nicht ganz. Zwar kann sie die Hjjks nicht mehr sehen, doch sie fühlt noch immer ihre anziehende Kraft. Und sie liebt sie wie zuvor. Wieder steigt in ihren Gedanken das Bewußtsein der erhabenen Harmonie des Nests auf, der fleißigen Geschäftigkeit seiner Bewohner, gewaltigen pulsenden Wellen der Königin-Liebe, von denen es unablässig durchströmt ist. Und auch in Niallis Herzen pocht die Königin-Liebe. Und die Nest-Wahrheit ist ihr nicht verloren.
Sie begreift es nicht. Wieso schwankt sie derart von einem Pol zum anderen? Wie kann es geschehen, daß sie die Himmlischen Fünf in sich trägt – und zugleich auch die Königin? Wohin gehört sie? Zur Stadt oder zum Nest, zum Volk oder zu den Hjjks?
Vielleicht zu beidem. Oder zu keinem von beiden…
Wer bin ich? fragt sie sich verwundert. Und was bin ich?
Ein andermal erschien Kundalimon vor ihr. Es war gegen Abend. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Lampen in dem kleinen Zimmer anzuzünden, und so breitete sich früh die regentrübe Dämmerung über alles. Sie sah ihn an der Wand der Tür gegenüber stehen, dort wo der aus Halmen geflochtene Hjjk-Stern hing.
»Du?« flüsterte sie.
Er gab keine Antwort, sondern stand nur so vor ihr da und lächelte.
Ihn umgab ein irgendwie golden schimmerndes Leuchten. Aber in dieser Lichtaura sah er genauso aus wie während der letzten Wochen seines Lebens: schlank, ja fast zerbrechlich, und
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