Der neue Frühling
schon morgen, dann am Tag darauf. Hier ist der Ort, an dem wir rasten müssen. Ich wette meinen Helm darauf, wenn wir heute abend noch weiterziehen und morgen die gleiche Strecke zu schaffen versuchen, werden wir innert drei Tagen ein paar krepierte Xlendis haben. Hinter ihrer Kraft verbirgt sich Empfindsamkeit, Prinz. Das da sind keine Xlendis für Holzlasten. Du hast dir Tiere mit Temperament und Feuer ausgesucht, und sie bringen uns schnell genug voran, solange sie frisch sind. Doch sobald sie zu ermüden beginnen…« Esparasagiot nahm den Helm ab – ein kunstvolles Stück mit einer Krone aus fünf silbermetallenen stracks nach hinten ragenden Federn – und legte ihn in Thu-Kimnibols Hände. »Ich setze meinen Helm darauf, Prinz. Gegen deine Schärpe. Zwei sind in drei Tagen tot, wenn wir in diesem Tempo weiterfahren.«
»Nein«, antwortete Thu-Kimnibol. »Wir rasten, wenn du es für richtig hältst.«
Der Sommer stand noch hoch, und die Luft war dicht und schwer. Häufig regnete es. Das Land hier nördlich von Dawinno war fruchtbar, es gab viele Bauernhöfe. Manchmal sah Thu-Kimnibol an den Gemarkungen ihrer Felder Häuflein ängstlicher Bauersleute stehen, die sich fragen mochten, ob er sie zu überfallen und zu plündern beabsichtige.
Doch dann stieß die Karawane bald in bergigeres Land vor. Hier war es viel trockener, und es gab keine Bauerngehöfte mehr. Die Erde war braun, steinig und kahl, und der aus Norden wehende Wind war scharf. Wildtiere, die in der Nähe der Siedlungsgebiete bereits selten geworden waren, streiften hier frei umher. Scharen von krummschnäbligen aasfressenden Vögeln mit weiten Schwingen zogen am Himmel unheilvoll ihre Kreise. In den Nächten bestrahlte das große runzelige Silberauge des von den Todessternen zernarbten Mondes das unfruchtbare Land mit einem kalten flirrenden Licht.
Unter Esperasagiots sachkundiger Hand zeigten die Xlendis gute Leistungen. Von Tag zu Tag schienen sie mit größerem Eifer voranzueilen. Es waren schlanke graue Tiere, also mit schmalen Lenden, aber stolzem Nacken und edlen runden Köpfen mit weitgeblähten Nüstern, und wenn sie in Gang kamen, schnaubten sie heftig und tänzelten.
Thu-Kimnibol verstand jetzt, warum sein Zugführer zu Beginn der Reise die Xlendis so geschont hatte. Es waren in der Stadt gezüchtete Tiere, gewöhnt, vor die Karossen von Prinzen gespannt zu werden, und sie hatten keine Erfahrung über weite Strecken im freien Land. Wenn man sie also gleich in den ersten Tagen, in denen es noch reichlich Futter gab, übermäßig beanspruchte, welche Reserven würden sie dann in den kommenden, kargeren Tagen zur Verfügung haben? Nein, man mußte sie schrittweise umgewöhnen, damit sie ganz abgehärtet sein würden, wenn ihnen der schwierigste Teil der Reise bevorstand. So jedenfalls lautete Esperasagiots Theorie.
Nach zehntägiger Fahrt sprach Thu-Kimnibol seinen Zugführer an: »Ich muß mich bei dir entschuldigen! Deine Weise, mit den Xlendis umzugehen, ist richtig!«
Esperasagiot gab nur ein Knurren von sich. Entschuldigungen oder Lob waren ihm schnurzegal, und alles andere auch – außer seinen Xlendis.
Sie hatten das gewaltige windgepeitschte Küstenplateau erreicht, das sich zwischen Dawinno und Yissou erstreckt. Kleine verkrümmte graue Pflanzen wuchsen hier auf einem fahlen geröllübersäten Erdreich. Den Karawanenweg entlang lagen Ruinenstädte aus der Großen Welt. Aber es war von ihnen nichts weiter erhalten geblieben als blasse weißliche Linien im Boden, kaum erkennbare Spuren von Fundamenten und Straßenbefestigungen. Hresh hatte schon die Studenten der Universität hergeschickt, um nach weiteren Relikten zu graben, doch es gab da einfach nicht mehr zu finden. Bei der ersten dieser uralten Stätten befahl Thu-Kimnibol einen Halt. Er schaute sich um. Er stellte sich vor, daß er einst eine Vielzahl von Saphiräugigen hier gelebt hatten. Mächtige reptilienhafte Fleischberge mit gewaltigen Kiefern und großen Schädeln und schweren Hinterschenkeln mochten hier langsam umhergezogen sein wie Philosophen der Peripatetikerschule, und hatten die riesigen Schwänze als eine Art Krücke zur Stütze benutzt, und in ihren vortretenden blauen Augen brannte das Feuer der Genies.
Unter anderen Umständen hätte er es sich nicht entgehen lassen, eine derartige antike Stätte nach ein paar Fundstücken als Souvenirs aus der Großen Welt für Naarinta abzusuchen. Solch kleine Geschenke hatten ihr immer Freude bereitet, ein
Weitere Kostenlose Bücher