Der neue Frühling
Immer hatte es für Nialli so etwas wie das Niederreißen einer geheimnisvollen Barriere bedeutet, die sie nicht preiszugeben wagte.
Sie wußte, die anderen taten ‚es’ auf ein Fingerschnippen hin, und manche fingen damit bereits mit knappen neun oder zehn Jahren an. Sie klatschten ganz unbekümmert ihre Leiber aneinander und vollzogen hastig und verschwitzt eine Vereinigung und fanden weiter gar nichts dabei. Doch Nialli hatte sich in jüngeren Jahren stets peinlich von alledem ferngehalten; aber jetzt, wo sie schon weit in ihre weibliche Reife getreten war, hatte sie manchmal das Gefühl, daß sie sich zu lange zurückgehalten habe, daß sie gerade durch die bloße Vermeidung den Kopulationsvorgang zu einem Akt von solch hoher Bedeutung erhoben hätte, daß es schon der höchst-bedeutsamen vorstellbaren Gründe bedürfen würde, wenn sie sich jemals darauf einlassen sollte. Aber ein solcher Grund war ihr bislang nie begegnet. Auf gar keinen Fall war er für sie in dem überheblichen Machogeäugle eines Eluthayn Bangkea oder dem subtileren Hungerblick eines Husathirn Mueri gegeben.
Aber jetzt… jetzt hier…
Kundalimon bedrängte sie am ganzen Körper, er betatschte sie und schnaubte, und es war genauso, wie sie sich die Männer dabei immer vorgestellt hatte. Er besaß kaum noch Kontrolle über sich. Dennoch verspürte sie keinen Widerwillen gegen ihn, sondern nur Mitgefühl. So isoliert und abgeschottet wie er, allein Tag um Tag in dieser kleinen Zelle mit nur einer Fensterluke – da mußte ihn ja schließlich die Einsamkeit überwältigen, das Trennungsgefühl vom NEST, bis in seinem Geist die Bedrückung so hoch anschwoll, daß sie eben jetzt die Flutmarken überspülte. Nialli hatte keine Ahnung, wie sie ihn zurückhalten konnte.
»Warte«, sagte sie. »Bitte!«
»Ich… will…«
»Aber, Kundalimon, bitte… bitte…« Er ließ von ihr ab, fast sofort, als habe er wirklich verstanden, was sie ihm mitzuteilen versuchte. Vielleicht spürte er auch nur die angstvolle Aufgeregtheit ihres unbereiten Körpers. Immer noch aber schien er sprungbereit und begierig weiterzumachen. Einer plötzlichen wilden Eingebung folgend, sagte sie: »Ich darf nicht. Die Kopulation ist mir verboten.« Und auf hjjkisch erklärte sie: »Ich brauche erst noch die Berührung der Königin.«
Es bestand eine ganz kleine Chance, daß er sich diesem Argument beugen werde. Im NEST gab es keine Paarung, ehe einen nicht die Königin zur Reife und Fruchtbarkeit gebracht hatte – in einem Ritual, dessen Wesen Nialli nicht bekannt war, das jedoch für jeden Hjjk den Übergang ins Erwachsenenleben bestimmte.
Aber Kundalimon, den nun unbezweifelbar seine nicht länger verleugnete Fleischlichkeit gepackt hatte, würde vielleicht nicht begreifen, warum ein Weib des Fleischlingsvolks sich weigern sollte, sich freudig dem starken Verlangen hinzugeben, das ihn jetzt durchtobte. Mußte sie nicht ein ebenso heftiges Sehnen fühlen wie er, da sie ja auch aus dem Fleische war? Ja, schön und gut. Aber er war außerstande, ihre Besorgnisse zu begreifen. Das konnte sie ja nicht einmal selber. Doch vielleicht würde er ja auf das andere Argument, die Jungfräulichkeit, reagieren, das im Nest einzigartig war.
Doch sein Fleischesaspekt stand im Aszendenten. Kein Argument würde ihn ins Wanken bringen.
»Auch ich hatte die Königliche Berührung noch nicht«, sagte er. »Aber wir sind… jetzt nicht im Nest, und…« Er atmete mit einem tiefen Zischen ein, und in seinen Augen gloste ein Ausdruck der Pein, vermischt mit Leidenschaft. Er war ebenso unberührt wie sie. Mit wem hätte er auch im Nest kopulieren können? Jetzt aber überwältigte ihn die Not, die Fleisches-Not, das heftige Bedürfnis, das allen eingeboren ist, die wie er von unvermischter Rasse sind.
Und plötzlich begriff sie, daß dies auch auf sie zutraf.
Beinahe ohne daß sie sich dessen bewußt wurde, erwärmte sie sich unter seiner Berührung. Während er sie streichelte, erwachten in ihrem Leib Sinnesempfindungen, wie sie solche nie zuvor gefühlt hatte. Ihr war heiß, die Haut juckte sie, sie fühlte ungeduldige Gespanntheit. An den Schenkeln, dem Bauch, der Brust spannten sich Muskeln und begannen zu zucken. Ihr Atem ging stoßweise.
Das waren lustvolle Empfindungen. Und irgendwie wußte sie, daß noch höhere Lust ihr bevorstand, fast in Reichweite lag. Sie brauchte sich nur davon überwältigen zu lassen.
Und dann wußte sie es, ohne Zweifel: Das ist der Augenblick, die
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