Der Neue Frühling
Welt retten würde. Dicht hinter Tamra kam die grauhaarige Schreiberin, die Zufriedenheit auf dem Gesicht trug wie zu viel Rouge, und der junge Martan, der über ihre Schulter hinweg Moiraine und Siuan anlächelte. Wenn er das zu oft tat, würde er wirklich seine Stellung verlieren.
Moiraine sprang auf die Füße und entbot ihren Gruß so schnell, dass sie die Feder in ihrer Hand ganz vergaß. Aber sie fühlte sie und zuckte wegen dem Tintenfleck zusammen, den sie hinterließ, ein schwarzer Klecks, der auf der weißen Wolle auf Münzgröße anschwoll. Siuan war genauso schnell, aber wesentlich weniger hektisch. Sie dachte daran, die Feder in der Schale abzulegen, bevor sie die Röcke anhob. Selbstbeherrschung, dachte Moiraine. Ich muss mich unter Kontrolle haben. Die geistigen Übungen durchzugehen half nur wenig.
Die Amyrlin musterte sie genau, und wenn Tamra jemanden musterte, dann fühlte sich auch der Dickfelligste bis auf das letzte Gramm gewogen. Es kostete Moiraine große Anstrengung, sich nicht unbehaglich zu bewegen. Sicherlich würde dieser Blick alles erkennen, was sie plante. Falls man das überhaupt mit dem Begriff Plan adeln wollte.
»Ich hatte Euch einen freien Tag geben wollen, damit Ihr nach Belieben lesen oder lernen könnt«, sagte Tamra und musterte sie immer noch. »Oder vielleicht für Eure Prüfung übt«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, das ihre Aufmerksamkeit nicht im mindesten schmälerte. Eine lange Pause folgte, dann nickte sie kaum merklich. »Der Tod Eurer Onkel macht Euch noch immer zu schaffen, Kind?«
»Ich hatte letzte Nacht wieder Albträume, Mutter.« Das war die Wahrheit, aber es war wieder um ein im Schnee schreiendes Baby gegangen, und einen gesichtslosen jungen Mann, der die Welt erneut zerstörte, während er sie rettete. Die Ruhe ihrer Stimme erstaunte sie. Sie hätte nie gedacht, dass sie es wagen würde, der Amyrlin eine Aes Sedai-Antwort zu geben.
Tamra nickte erneut. »Also gut, wenn Ihr glaubt, Ihr müsst Euch beschäftigen, dürft Ihr fortfahren. Sollte Euch die Langeweile übermannen, den ganzen Tag Namen zu kopieren, dann hinterlasst eine Nachricht bei der fertigen Arbeit, und ich sorge dafür, dass man Euch ersetzt.« Sie wandte sich zum Gehen, hielt dann aber inne. »Tinte ist sehr schwer zu entfernen, vor allem aus weißem Stoff. Ich werde Euch nicht sagen, dass Ihr sie nicht mit der Macht entfernen dürft; das wisst Ihr selbst.« Ein weiteres Lächeln, und sie scheuchte die grauhaarige Schreiberin aus dem Raum. »Kein Grund, so böse zu schauen, Frau Wellin«, sagte sie beschwichtigend. Nur Narren verärgerten Schreiber; ihre Fehler, ob nun zufällig oder mit Absicht, konnten zu großen Schaden anrichten. »Ich bin davon überzeugt, Ihr habt noch wichtigere Arbeiten ...« Ihre Stimme verblasste auf dem Korridor zu einem Murmeln, das sich entfernte.
Moiraine hob den Rock, um sich den Fleck anzusehen. Er war auf die Größe einer großen Münze angewachsen. Normalerweise hätte sein Entfernen stundenlanges Eintauchen in Bleichmittel erfordert, das an den Händen brannte und keine Gewähr auf einen Erfolg bot. »Sie hat mich gerade aufgefordert, mein Kleid mit der Macht zu reinigen«, sagte sie staunend.
Siuans hob die Brauen. »Erzähl keinen Blödsinn. Ich habe sie auch gehört, und sie hat nichts dergleichen gesagt.«
»Du musst auch auf das hören, was die Leute meinen, nicht bloß, was sie sagen.« Das zu interpretieren, was andere sagten, war ein integraler Bestandteil des Spiels der Häuser und alles zusammengenommen – Tamras Lächeln, ihr Blick und ihre Wortwahl – war so gut wie eine schriftliche Erlaubnis.
Sie umarmte die Macht, webte Luft, Wasser und Erde zusammen und legte das Gewebe über den Fleck. Nur weil es Aufgenommenen verboten war, mit dem Einsatz der Macht Haushaltsdinge zu erledigen, bedeutete das nicht, dass man ihnen nicht beibrachte, wie das gemacht wurde; für Schwestern, die oft ohne Diener reisten, gab es keine derartigen Einschränkungen. Der schwarze Fleck funkelte plötzlich feucht und fing an zu schrumpfen, dabei kroch er aus dem Stoff empor. Er wurde immer kleiner, bis er nur noch ein winziger schwarzer Klumpen aus getrockneter Tinte war, der in Moiraines aufgehaltene Hand fiel.
»Ich sollte das als Erinnerung behalten«, sagte sie und legte den schwarzen Klumpen auf die Tischkante. Eine Erinnerung, dass Siuan Recht behalten hatte. Es gab Augenblicke, in denen die Regeln gebrochen werden konnten.
»Und wenn jetzt
Weitere Kostenlose Bücher