Der Neue Frühling
Kind, wer im Hause Damodred wird Eurer Meinung nach den Thron besteigen, jetzt, da Laman und seine Brüder tot sind?«
Moiraine stolperte über die eigenen Füße und wäre gefallen, hätte Jarna sie nicht gehalten. Eine Sitzende fragte sie nach ihrer Meinung über Politik? Sicher, es war ihre Heimat, aber Sitzende wussten mehr über die Politik der meisten Länder als ihre eigenen Herrscher. Jarna sah sie gelassen und geduldig an. Wartete.
»Ich habe darüber noch nicht nachgedacht, Aes Sedai«, sagte Moiraine wahrheitsgemäß. »Ich glaube, vermutlich wird der Sonnenthron an ein anderes Haus gehen, aber ich kann nicht sagen, welches es sein wird.«
»Vielleicht«, murmelte Jarna und senkte für die Dauer des Wortes die Lider zur Hälfte. »Haus Damodred hat einen schlechten Ruf errungen, den Laman nur noch schlimmer gemacht hat.«
Moiraine runzelte die Stirn, bevor sie es vermeiden konnte, und glättete die Haut schnell in der Hoffnung, dass Jarna es nicht bemerkt hatte. Es war die Wahrheit. In dieser Generation hatte allein ihr Vater nicht über einen dunklen Charakter verfügt, ob es nun Männer oder Frauen gewesen waren. Die vorangegangenen Generationen waren beinahe genauso schlimm gewesen, wenn nicht sogar noch schlimmer. Die Taten von Haus Damodred hatten den Namen beschmutzt. Aber es gefiel ihr nicht, wenn das jemand aussprach.
»Eurem Halbbruder Taringail ist es durch seine Ehe mit der Königin von Andor verwehrt«, fuhr Jarna fort. »Ein albernes Gesetz, aber er kann es nicht ändern, bevor er König ist, und er kann nicht König werden, bevor es geändert wird. Was ist mit Euren älteren Schwestern? Sind sie nicht angesehen genug? Der ... Makel ... scheint Eure Generationen größtenteils übersprungen zu haben.«
»Sie sind gut angesehen, aber nicht für den Thron«, erwiderte Moiraine. »Anvaere interessiert sich nur für Pferde und Falknerei.« Und niemand würde ihrem aufbrausenden Temperament vertrauen, das viel schlimmer war, als Moiraines Temperament jemals gewesen war, nicht auf dem Sonnenthron. Aber das war etwas, das sie höchstens Siuan erzählen würde. »Und falls Innloine den Thron erringen würde, ist allgemein bekannt, dass die Staatsgeschäfte bestenfalls an zweiter Stelle vor der Beschäftigung mit ihren Kindern kommen würden.« Sehr wahrscheinlich, denn beim Spielen mit ihren Kindern hatte sie sämtliche Staatsgeschäfte vergessen. Innloine war eine warmherzige und liebevolle Mutter, aber um die Wahrheit zu sagen, sie war nicht besonders klug, dafür aber ausgesprochen stur. Für einen Herrscher eine gefährliche Kombination. »Niemand wird eine von ihnen als Thronfolgerin unterstützen, Aes Sedai, nicht einmal im Haus Damodred.«
Jarna blickte Moiraine lange in die Augen und erinnerte sie auf unbehagliche Weise an Meilyns Ausspruch, sie könne keine Gedanken lesen. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als den Blick mit Geduld und Offenheit zu erwidern. Und der innigen Hoffnung, dass Meilyn keine Möglichkeit gefunden hatte, die Drei Eide zu umgehen.
»Ich verstehe«, sagte Jarna schließlich. »Ihr dürft zu Eurer Arbeit zurückkehren, Kind.«
»Was wollte sie?«, fragte Siuan, als Moiraine das Zimmer betrat.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie langsam und griff nach ihrer Feder. Das war die erste Lüge, die sie Siuan jemals gegenüber benutzt hatte. Sie hatte zu große Angst, dass sie sogar nur zu gut wusste, was Jarna wollte.
Bis sie die fertigen Kopien in dem geräumigen Vorraum zum Arbeitszimmer der Amyrlin auf dem mit geschnitzten Rosen verzierten Schreibtisch ablegen konnten, der Gitara gehört hatte, waren sechs weitere Sitzende gekommen, um Moiraine zur Seite zu nehmen. Eine von jeder Ajah, und sie alle stellten so ziemlich die gleichen Fragen. Tsutama Rath, wunderschön und mit einem harten Blick, der ausreichte, um Moiraine zusammenzucken zu lassen, war direkt gewesen.
»Habt Ihr je daran gedacht«, sagte Tsutama beiläufig und spielte mit den roten Fransen ihrer Stola, »selbst Königin von Cairhien zu werden?«
Und so hatte sich ein weiterer Albtraum zu dem mit dem Baby im Schnee und dem gesichtslosen Mann gesellt. Sie saß auf dem Sonnenthron mit der Stola einer Aes Sedai, und in den Straßen draußen zerstörte der Mob die Stadt. Seit über tausend Jahren war keine Aes Sedai mehr Königin gewesen, und selbst zuvor war es jenen, die es offen zugegeben hatten, schlecht ergangen. Aber wenn das das Ziel des Saals der Burg war, wie sollte sie es
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