Der Neue im Sportinternat
Grandmere Colette ist die Größte für Leon! Comme tu me manques, petite ämel, hört er sie in Gedanken oft sagen. Als er klein war, hat sie ihn mit diesen Worten stets begrüßt, ob am Telefon oder bei Besuchen. Manchmal sagt sie das noch heute. Wie du mir fehlst, kleine Seele!
Leon geht die Treppe ins Erdgeschoss runter. Eigentlich ist es mehr ein Schreiten. Der Weg führt ihn in die Bibliothek. Die Büchersammlung ist beachtlich und beinhaltet sogar historische Raritäten, die jedoch hinter Glas verschlossen sind. Zu Leons Freude findet er eine Taschenlampe, die auf einem Hocker gleich neben der Tür steht. Leon nimmt die Taschenlampe und betrachtet die Ölgemälde, die in der Bibliothek hängen. Es handelt sich um Porträts des Grafen Bartholomäus von Fronberg und seiner Familie. Er hat das Schloss erbauen lassen. Auf dem Gemälde sieht der Graf sehr ansprechend aus, männlich und für seine Zeit durchaus draufgängerisch. Möglicherweise ein Zugeständnis seitens des Malers, um der adligen Eitelkeit gerecht zu werden!
Leon ist auf der Suche nach einem Buch mit der Geschichte über die von Fronbergs. Sein besonderes Interesse gilt selbstverständlich Bartholomäus. Dieses Interesse verblasst aber sehr schnell, als Leon bemerkt, dass ein Fenster in der Bibliothek weit offen steht. Was hat das zu bedeuten? Kaum vorstellbar, dass das Fenster aus Versehen nicht geschlossen wurde. Ein Übersehen kommt ebenfalls nicht in Frage, denn dann müsste man blind sein. Leon will der Sache auf den Grund gehen!
Leon macht die Taschenlampe aus, geht zum Fenster und schaut nach draußen. Unter dem Fenster steht ein Stuhl, der zweifelsfrei aus der Bibliothek stammt. So wie der Stuhl platziert ist, wurde er als Leiter benutzt, um mühelos aus dem Fenster nach draußen steigen zu können und um später auf selbigem Weg wieder einzusteigen. Offensichtlich ist Leon nicht der Einzige, der nachts durchs Schloss schleicht. Diese Erkenntnis fordert zur doppelten Vorsicht auf. Keinesfalls darf Leon sich erwischen lassen! Neugierde gepaart mit Nervenkitzel bewegt Leon dazu, auf die innere Fensterbank zu klettern. Er will herausfinden, was sich nach Mitternacht im Schloss alles abspielt!
Der Vollmond am wolkenlosen Himmel erweist sich einmal mehr als hilfreicher Verbündeter. Das natürliche Mondlicht lässt Leon alles gut erkennen und zieht keinen Argwohn auf sich wie beispielsweise das Licht einer Taschenlampe. Leon klettert auf die äußere Fensterbank. Der Stuhl ist gute zwei Meter unter ihm. Zuerst will er sich mit der Schuhspitze an der Stuhllehne aus Holz vorsichtig abstützen und anschließend auf die Sitzfläche stellen. Hinaufzuklettern wird sehr viel leichter sein, weil er sich dann mit den Händen an der Fensterbank hochziehen kann. Alles reine Übungssache!
Das Runterklettern funktioniert problemlos. Als Leon draußen vor dem Fenster steht, schaut er die Wand hoch und überprüft, ob durch irgendein Fenster Licht fällt. Alles dunkel! Leon bemerkt eine Fußspur, die vom Stuhl wegführt. Er bückt sich, sieht sich die Schuhabdrucke genauer an. Sie stammen von einer einzigen Person. Zwar ist Leon kein Fachmann, aber für ihn sieht das ganz eindeutig nach dem Profil einer Turnschuhsohle aus. Wie ein Fährtenhund folgt er der Fußspur, die um das halbe Schloss verläuft.
Leon kommt zu einem Vorbau des Schlosses, der völlig verwinkelt ist. Dichte Büsche sind davor. Hinter den Büschen flackert Licht durch ein Fenster, das brusthoch ist. Ohne das Lichtflackern hätte Leon das Fenster nicht bemerkt, weil es bedingt durch die Lage auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen ist. Flinzu kommt, dass es keine anderen Fenster in unmittelbarer Nähe gibt und deswegen auch niemand ausgerechnet dort eins vermuten würde. Bei dem Licht handelt es sich eindeutig um Fernsehflimmern. Die Fußspur führt in die Sträucher. Niemand ist zu sehen. Dennoch will Leon auf Nummer sicher gehen. Er hebt ein kleines Steinchen vom Boden auf und wirft es ins Grün hinein. Nichts. Leon wagt sich vor und geht ins Gestrüpp. Lautlos nähert er sich dem Fenster. Es ist eindeutig, dass der Unbekannte, dessen Spur Leon verfolgt, hier gestanden hat. Eindeutig hat er eine gezielte Absicht verfolgt: Er wollte durchs Fenster spannen und heimlich beobachten! Wieso? Wen? Was gibt es da drinnen, was so spannend ist? Es hilft nur eins, nämlich nachsehen!
Leons Sinne sind in Alarmbereitschaft. Eine innere Anspannung lässt ihn wachsam sein und sorgt für
Weitere Kostenlose Bücher