Der Neue im Sportinternat
Entscheidung: Vorerst wird er Chocco nichts von seinen Entdeckungen erzählen.
Im Speisesaal herrscht noch keine Rushhour. Gemächlich, aber stetig füllt sich der Saal. Die Hausordnung von Schloss Drachenfels verlangt nicht, dass jeder Internatsschüler Punkt 19 Uhr an der Essensausgabe ansteht, um sein Abendessen einzunehmen. Beim Mittagessen ist die Hausordnung weniger großzügig, weil selbstverständlich der jeweilige Zeitplan der einzelnen Schüler auf das Folgeprogramm (Unterrichtsstunden sowie Training) abgestimmt ist und die Internatsleitung auf strikter Einhaltung besteht. Der tägliche Ablauf ist gut durchstrukturiert und verlangt nicht nur ein darauf basierendes Timing jedes Einzelnen, sondern auch disziplinierte Einhaltung.
Chocco ist vom Abendessen nicht besonders begeistert. Körnerbrot, Halbfettmargarine, Käse, einen kleinen Putenfleischsalat, Tee. Nicht mal der Früchtejoghurt kann bei Chocco etwas wettmachen. »Alfons spinnt wohl! Was Besseres ist dem nicht eingefallen, wie? Das Brot ist nicht mal von heute«, nörgelt er und verspürt keinen rechten Appetit. »Ich habe das Zeug zum 5-Sterne-Koch, prahlt Alfons immer. Guck dir den Scheiß an! Das ist der Fraß von einem besseren Pommes-Brutzler! Irgendwas Süßes wäre mir lieber!«
»Der Salat is' okay.«
«Bäääh! Weißt du was? Ich werde Alfons einen kleinen Besuch in der Küche abstatten. Er mag mich, hat er gesagt. Ich werde ihm Müsliriegel abschwatzen. Alfons hat eine ganze Ladung davon.« Chocco steht vom Tisch auf und macht sich auf in die Küche.
Leon isst seinen Salat und sieht sich um. Adrian Tomlin betritt mit Lori von Rothenbach den Speisesaal. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Lehrer oder auch Trainer zum Essen herkommen. Die Atmosphäre im Speisessaal ist beliebt! Adrian und Lori unterhalten sich angeregt, lächeln sich unentwegt an. Lori ist sehr feminin. Sie hat ihr langes Haar hochgesteckt und trägt ein eng anliegendes Kostüm, das ihre schlanke Figur betont. Eine schöne Frau, die frei von jeglicher Tussi-Allüre ist! Adrian ist wie fast immer leger gekleidet. In seinem T-Shirt und den Jeans macht er eine verdammt gute Figur! Als er Leon sieht, lächelt er ihm zu und grüßt ihn. Leon erwidert das Lächeln, winkt sogar mit der Hand.
Fynn und Timo kommen mit ihren Tabletts auf Leon zu. Am liebsten würde Leon sein Schweigen brechen und beide auf seine Beobachtung ansprechen. Beim Anblick der zwei wird das Ticken in Leons Kopf sehr viel lauter! Leon wünschte, er wüsste, welchen Zwilling er in Falkos Zimmer gesehen hat. Fynn oder Timo; einer ist nicht koscher. Leon muss an den >oralen Treueschwur< denken.
»Hi!«, grüßen Fynn und Timo. ,
»Hi!«, erwidert Leon.
Fynn und Timo gehen am Tisch vorbei und setzen sich zu Falko und seinen Jungs. Leon bleibt beinahe der Bissen im Hals stecken. Beide bekennen sich zu Falko? Indem sie sich zum Narbengesicht an den Tisch setzen, machen sie das für jedermann sichtbar! Aber Leon hat nur einen der Zwillinge gesehen. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass der andere Zwilling in einem Winkel des Zimmers stand, von wo aus er durch das Loch in der Wand nicht zu sehen war. Diese Eventualität hat Leon bisher nicht berücksichtigt. Dass lediglich der Zwilling, den er eindeutig gesehen hat, auch nur zu hören war, beweist nichts. Die Sache scheint verzwickter, als Leon gedacht hat. Wenigstens kann weder Fynn noch Timo ein Unheil heraufbeschwören, während sie im Speisesaal sitzen und speisen.
»Hey!« Mit einem breiten Lächeln steht Sandro vor Leon. Mit seinem Tablett setzt er sich zu ihm an den Tisch. »Hast du ' n Geist gesehen oder was?«
»Hey, Sandro! Hab dich gar nicht kommen sehen.« Leon lächelt kurz zurück. Gedanklich ist er noch bei Fynn und Timo. Leon muss den Schalter im Kopf umlegen! Er schaut Sandro an. Das ist das erste Mal, dass sich Sandro zu ihm setzt. Nun kann jeder sehen, dass der Schwärm vom Internat freundschaftliche Bindungen mit ihm knüpft. Erstaunlich, was sich augenblicklich im Speisesaal abspielt. Was für ein Verlauf! Leon nimmt den Moment wie ein Wechselspiel von Licht und Schatten wahr. Er kann nicht sagen, was das in seinem Inneren konkret auslöst. Seine Wahrnehmung beruht wohl auf einer Reflek-tion von innen nach außen und umgekehrt.
»Und? Was geht heute Abend ab bei dir?«
»Hab noch keinen Plan. Mal sehen.«
»Bock auf 'ne Runde Billard?«
»Vielleicht.« Leon trinkt einen Schluck Tee, schaut dabei zu Sandro, der ins Brot beißt. Leon
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