Der neunte Buddha - Thriller
hatten sie alle festen Straßen und Pisten hinter sich gelassen. Sie waren gegangen, als folgten sie ihrem eigenen Weg – immer nach Norden in die Berge des Chingiltu-Ula hinein. Die steilen Hänge um sie herum bedeckte dichter Kiefernwald. Kein Mensch begegnete ihnen. Vogelgezwitscher war zu hören, aber sie sahen weder Vögel noch andere Tiere.
Schließlich rasteten sie in einem kleinen Tempel, der verlassenund halb verfallen vor ihnen lag. Dort verbrachten sie die Nacht, eng aneinandergedrängt, um sich zu wärmen. Am folgenden Morgen ging Christopher in den Wald, um nach etwas Essbarem zu suchen. Da waren Beeren an niedrigen Sträuchern und Pilze, die er in seinem Hemd sammelte. In der Nähe des Tempels floss ein kleiner Bach vorbei, von wo er in einem alten Topf, den er in einem inneren Raum fand, Wasser holte.
Den ganzen Tag blieben sie an diesem Ort, um ein wenig Kraft zu schöpfen. Mit Holz, das Christopher aus dem Wald holte, zündeten sie ein Feuer an und beschlossen, auch die nächste Nacht zu bleiben. Allmählich waren sie in der Lage, über das Erlebte zu sprechen.
Sie hätten nicht sagen können, wann sie beschlossen, länger in dem Tempel zu verweilen. Aber nach und nach richteten sie sich ein, und bald war er ihr Zuhause. Hierher kam niemand. Christopher stellte bald fest, dass es in dem Wald genügend Wild gab. Er baute kleine Fallen für Kaninchen und Rehe, aber Chindamani aß kein Fleisch und ernährte sich von dem, was sie von Bäumen und Büschen pflückte.
Schwere Schuldgefühle plagten sie. Sie war überzeugt, dass ihre unerlaubte Leidenschaft für Christopher Samdups Tod mitverursacht hatte. Ihr Zögern, durch den Geheimgang zu fliehen, hatte ihn das Leben gekostet. Davon konnte sie nichts abbringen.
Sie war ein Trulku , erklärte sie, eine Hülle für die Göttin Tara. Sie war nicht dafür geboren, zu lieben, zu heiraten oder Kinder zu gebären. Das war etwas für gewöhnliche Sterbliche. Die Göttin in ihr war aber nicht sterblich. Er hielt ihr die Argumente dagegen, die sie ihm selbst in die Hand gegeben hatte – dass sie eine Frau war und keine Göttin, dass ihre Liebe sich aus sich selbst rechtfertigte. Aber sie wollte nichts hören, und wenn, dann akzeptierte sie seine Überlegungen nicht.
Zwei Monate lang schlief sie nicht mit ihm. Er drängte sie nicht und kapselte sich nicht von ihr ab. Aber wenn sie durch den Wald gingen, nahm sie manchmal seine Hand. Dann spürte er, dass sie ihn gegen ihren Willen immer noch liebte. Eines Tages gegen Ende Juni – er führte einen groben Kalender an einem Baum vor dem Tempel – kam sie nachts zu ihm – ohne jede Erklärung, wie sie es bei ihrem ersten Mal getan hatte.
Der Sommer verging. Zart und ewig wechselnd fielen Licht und Schatten durch die Bäume. Chindamani betete jeden Tag in einem kleinen Schrein, der zu dem Tempel gehörte. Sie stellten das Gebäude wieder her, so gut sie konnten. Sie sprachen nicht darüber, ob sie diesen Ort eines Tages verlassen und sich für den Winter einen anderen Unterschlupf suchen wollten. Dabei wussten beide, dass sie nicht mehr lange bleiben konnten.
Anfang September kam ein Reisender in der Nähe des Tempels vorbei, ein Lama, der ausreichend Tibetisch sprach und ihnen berichten konnte, was geschehen war, seit sie Urga verlassen hatten.
Ende Mai war Ungern-Sternberg mit seinen Truppen aus Urga abmarschiert, um sich ein letztes Mal den sowjetischen Einheiten entgegenzustellen, die jetzt in großer Zahl ins Land strömten. Er war geschlagen, gefangen genommen und – so wollten es Gerüchte wissen – hingerichtet worden. Das geschah exakt einhundertdreißig Tage, nachdem er den Schrein der Prophezeiungen in Urga aufgesucht hatte, wo er die Worte gehört haben wollte, die er später auf die Schilder im Süden schreiben ließ. Suche-Bator hatte Urga mit seinen Partisanen und unterstützt von bolschewistischen Truppen Anfang Juni eingenommen und eine Volksrepublik ausgerufen. Nun kehrte das Land allmählich zu einem normalen Leben zurück.
Der Lama war zu einem Kloster nördlich der Berge unterwegs, einem Ort namens Amur-bayasqulangtu auf dem Berg Bürün-chan, von dem Christopher und Chindamani bereits gehört hatten. Dort war Ondür Gegen begraben, der Erste in der Reihe der Jebtsundamba Hutuktus.
Sie konnten den Lama überreden, noch ein, zwei Tage bei ihnen zu bleiben. Er erklärte ihnen, der Tempel, wo sie sich befänden, sei als Maidariin süme bekannt und dem Maidari Buddha geweiht. Er frage
Weitere Kostenlose Bücher