Der neunte Buddha - Thriller
Leute.
Vom Arbeitszimmer des Hutuktus führte ein Gang direkt in die Schatzkammer. Dort sah es aus wie in Aladins Höhle. Der große Raum war bis zum Rand mit allem möglichen Schnickschnack vollgestopft, den Ergebnissen einer lebenslangen Sammlerwut:
Kronleuchter, deren Kristallgehänge aussahen wie in Spinnweben eingehüllte Eisstückchen, Vasen aus China, Teppiche aus Persien, Pfauenfedern aus Indien, zwei Dutzend Samoware verschiedener Größen und Formen aus Russland, Perlenketten aus Japan – alles in heillosem Durcheinander. Der Hutuktu hatte das meiste in mehrfacher Ausführung erworben – ein Dutzend von diesem, eine Kiste von jenem. Manchmal hatte er bei seinen Gängen durch Mai-mai-cheng einem Händler seine gesamte Ware abgehandelt. Jetzt wirkte das Ganze wie ein riesiger Trödelmarkt, auf dem niemand etwas kaufte.
In einem Raum standen in langen Reihen Schusswaffen in Glaskästen: Jagdgewehre, Hinterlader, Remington-Repetierbüchsen, Pistolen und Karabiner – einige reine Zierstücke, andere für den praktischen Gebrauch gedacht, aber alle unbenutzt. Es folgte die große Sammlung mechanischerErfindungen, die der Hutuktu angelegt hatte. Da gab es eine Puppe an einem Klavier, die einen Strauß-Walzer nach dem anderen herunterklimpern konnte, ohne müde zu werden; einen Affen, der einen Pfahl hinaufkletterte, und einen anderen, der endlos um einen Balken kreisen konnte; Zinnsoldaten, die marschieren, Automobile, die auf lackierten Rädern fahren, Schiffe, die auf einem Meer von Blech schaukeln, Vögel, die singen und mit den Flügeln schlagen oder auf goldenen Zweigen mit smaragdenen Knospen herumhüpfen konnten. Alles verstaubt, vor sich hin rostend und bewegungslos.
Samjatin trieb sie zu schnell durch die Gemächer, als dass man etwas in näheren Augenschein hätte nehmen können. Vor dem Palast donnerten jetzt einige Explosionen, und Gewehrfeuer war von allen Seiten zu hören. Chindamani glitt aus und fiel gegen eine der Kisten. Christopher glaubte, sie habe sich verletzt. Doch Sekunden später stand sie wieder auf den Beinen und griff nach Christophers Hand. Er hatte den Eindruck, sie habe etwas aus der Kiste genommen, konnte es jedoch nicht genau sehen.
William blieb immer weiter zurück. In seinem Zustand erschöpfte ihn jedes schnelle Laufen. Aber er wollte nicht, dass Christoper ihn trug. Samjatin schubste und zerrte den Jungen, um ihn zur Eile anzutreiben. Als Christoper einschreiten wollte, hielt ihm der Russe die Pistole vor die Nase und befahl ihm weiterzugehen. Christopher wusste, dass der Burjate den Jungen nur am Leben ließ, weil er ihn bei Verhandlungen als Faustpfand zu nutzen gedachte.
Dann hatten sie den letzten Raum erreicht. Er war leer, dunkel getäfelt und reich mit tibetischen Teppichen behängt. Samjatin schob alle hinein und schloss die Tür.
»Wo geht es hier weiter?«, rief er.
Bodo kletterte über einen Haufen Kissen an der Rückwandund zog einen der Teppiche beiseite. Die Geheimtür war ideal in die Wandverkleidung eingepasst. Mit einem kleinen Hebel am Fußboden ließ sie sich öffnen. Bodo betätigte ihn, und die Holzverkleidung glitt mit leisem Geräusch zur Seite.
»Worauf wartet ihr?«, schrie Samjatin. »Rein mit euch!«
Bodo trat als Erster in den Geheimgang. Nach ihm kam Chindamani, gefolgt von dem Hutuktu und Samdup. Plötzlich ertönte ein Schrei.
»Ich gehe in keinen Gang mehr! Hilf mir, Vater!«
Es war William. Die dunkle Öffnung erinnerte ihn an die Gänge von Dorje-la. Er klammerte sich an Christopher.
»Was sagt er?«, fragte Samjatin. »Was hat er denn nun schon wieder?« Panik stand in seinen Augen. Er war dem Sieg so nahe gewesen, doch jetzt umgaben ihn nur noch Geräusche der Niederlage – Gewehrschüsse, Detonationen und nun auch noch ein weinendes Kind.
»Er hat Angst. Er geht nicht in diesen verdammten Tunnel. Sie wissen doch, was in Dorje-la passiert ist. Um Gottes willen, lassen Sie mich mit ihm zurück. Er stellt keine Gefahr für Sie dar.«
»Und Sie führen dann Ungern direkt zu diesem Gang? Keiner bleibt hier. Wenn er nicht mitkommt, dann erschieße ich ihn auf der Stelle und bin ihn endlich los!«
Samjatin streckte die Hand nach dem Jungen aus. Der versuchte ihm auszuweichen. Der Russe stürzte sich auf ihn und wollte den Jungen bei der Schulter packen. Aber seine Hand glitt ab und griff statt dessen an seinen Nacken.
Vor Schmerz schrie William laut auf. Samjatin hatte in die heftig angeschwollene Beule gefasst, und die Haut
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