Der neunte Buddha - Thriller
gab es große Spinnen, die in Glaskästen durcheinanderwuselten und Netze webten wie Wolken aus Seidenfäden. In einem anderen schwammen Fische in gewaltigen Aquarien, schossen in dunklem, stillem Wasser nervös hin und her und kamen nicht zur Ruhe wie Haie, die sterben, wenn sie sich nicht bewegen. Schließlich gelangten sie in einen kleinen Raum, der von Flammen erfüllt war. Überall brannten Lampen und suchten die Schatten zu vertreiben. Erde und Luft, Wasser und Feuer – alle Elemente und Kreaturen aus jedem von ihnen. Die Welt en miniature.
Am Ende des Feuerraumes befand sich eine Tür, die sich von den bisherigen unterschied. Sie war mit Mandalas bemalt, kreisrunden Bildern von der Welt in der Luft, zu Lande und zur See. Von der Wirklichkeit zum Schatten, von der Schale zum Kern. Der Verwalter öffnete die Tür und trat beiseite, um Christoper eintreten zu lassen.
Dahinter lag ein riesiges Gemach, das den größten Teil des Obergeschosses einzunehmen schien. Licht fiel in dicken Streifen durch Öffnungen in der Decke, reichte aber nicht aus, um die überall lagernden Schatten zu vertreiben. Winzige Flämmchen von Butterlampen funkelten wie Leuchtkäfer über einem dunklen See. Hinter sich hörte Christopher ein Geräusch. Als er sich umwandte, sah er, wie die Tür sich schloss. Sein Begleiter war gegangen.
Als sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, konnte Christopher erst erkennen, was für ein Raum dies war. Er hatte von solchen Orten schon gehört, aber noch nie einen gesehen. Es war die Chörten -Halle, das Mausoleum all der bisherigen Äbte des Klosters. Ihre Ruhestätten standen an einer Wand aufgereiht – riesige Kästen, viel größer als die Toten, die in ihnen ruhten – makellos polierte, von Staub bedeckte Behältnisse für verwesendes Fleisch und modernde Knochen. Das flackernde Licht huschte über die Wände der mächtigen Klötze aus Bronze, Gold und Silber, die mit Edelsteinen belegt und mit kostbaren Ornamenten verziert waren.
Jeder Chörten stand auf einem großen Sockel und reichte fast bis zur Decke. In einer unsteten Welt waren sie Symbole von Beständigkeit. In jedem ruhten die mumifizierten Überreste eines Abtes. Von Zeit zu Zeit wurde Salz beigegeben, um die Mumien zu erhalten. Durch Gitter an der Frontseite der Chörten starrten die vergoldeten Gesichter ihrer Bewohner verloren auf eine Welt grauer Schatten.
Langsam ging Christopher die Reihe der goldgeschmückten Grabmäler entlang. Draußen hörte er den Nachmittagswind heulen. Es war kalt hier oben, kalt, einsam und ohne Sinn. Er zählte insgesamt zwölf Chörten . Einige Äbte waren als alte Männer gestorben, andere als Kinder. Wenn man den Mönchen Glauben schenken wollte, waren sie alle Inkarnationenein und desselben Geistes, eines einzigen Wesens in einer Vielzahl von Körpern. Jeder amtierende Abt verbrachte hier sein ganzes Leben Seite an Seite mit seinen früheren körperlichen Hüllen wie ein Mann mit seinen Erinnerungen oder abgelegten Kleidern, darauf wartend, dass sein eigener Körper sich den anderen zugesellte und er selbst zwar eine neue Form, aber nie eine neue Identität annahm.
Wie am Tag zuvor erwartete ihn der Abt in einer Nische am Ende der langen Halle. Er saß auf einem Berg von Kissen zwischen vergoldeten Götterfiguren, über die Licht und Schatten huschten. Angesichts der riesigen Chörten wirkte er noch kleiner – eine bleiche Gestalt zwischen all seinen früheren Leben. Es war, als sitze er auf diesem Thron schon jahrhundertelang und sehe zu, wie die Chörten gebaut und belegt wurden, bis jemand kam und sagte, es sei so weit, er müsse diese Welt verlassen. Christopher verbeugte sich tief und nahm auf einem gepolsterten Sitz gegenüber dem Abt Platz.
»Sie wollten mich sprechen«, sagte der alte Mann.
»Ja.«
»In einer wichtigen Angelegenheit.«
»Ja«, sagte Christopher.
»Reden Sie.«
»Heute Nacht ist jemand in mein Zimmer gekommen. Während ich schlief. Verstehen Sie? Er kam in meinen Raum, während ich schlief. Er wollte mich umbringen. Ich will wissen, warum. Ich möchte, dass Sie es mir sagen.«
Der Abt antwortete nicht sofort. Christophers Mitteilung schien ihn zu erschüttern.
»Woher wissen Sie, dass er Sie töten wollte?«, fragte er schließlich.
»Weil er ein Messer bei sich hatte. Weil er versuchte, mich mit einer Schnur zu erdrosseln.«
»Und Sie glauben, ich weiß davon und bin vielleicht sogar dafür verantwortlich?«
Christopher schwieg.
»Sie denken
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