Der neunte Buddha - Thriller
Schatten wieder auf sich zukommen, hob den Stuhl und schlug zu. Er spürte, dass er getroffen hatte, holte erneut aus und ließ den Stuhl ein zweites Mal niedersausen. Ein unterdrückter Schrei war zu hören, dann das Trappeln von Füßen. Der Mann suchte das Gleichgewicht wiederzufinden. Christopher sah, wie er stolperte, sich aufrichtete und zur Tür lief.
Er stürzte ihm nach und wollte ihn im Halbdunkel greifen, aber er geriet mit dem Fuß in eine Altarschale und glitt aus. Als er wieder auf die Beine kam, war der Eindringling fort. Christopher ging zur offenen Tür und schaute nach beiden Seiten auf den Gang hinaus. Der war leer. Er zog den Schlüssel aus dem Schloss, machte die Tür zu, verschloss sie von innen und steckte sich den Schlüssel in den Stiefel.
Jetzt schlafen zu wollen, war sinnlos. Er blieb wach, bis die Dämmerung kam. Dann räumte er seinen Raum auf und richtete den Altar wieder her, so gut er konnte. Dabei fand er auch das Messer des Angreifers, eine schmale Waffe mit einer 20-cm-Klinge. Er steckte es in seinen anderen Stiefel. Die Sache war wohl zu seinen Gunsten ausgegangen.
Das Frühstück kam lange nach der Dämmerung und der ersten Morgenandacht. Diesmal fand er keine Nachricht in der Teekanne. Als der Mönch das Geschirr wieder abholte, sagte ihm Christopher, er wolle den Abt sprechen. Zunächst antwortete der Mann, das sei unmöglich, aber Christopher erklärte, er werde Ärger bekommen, wenn er seine Nachricht nicht weitergebe. Der Mönch verließ schweigend den Raum. Am Nachmittag war der kleine Verwalter wieder da und forderte Christopher auf, ihm zu folgen.
Sie nahmen nicht denselben Weg wie am Tag zuvor. Stattdessenstiegen sie steile Treppen hinauf, die zum obersten Stockwerk des Gebäudes führten. Christopher vermutete, man bringe ihn zu den Privaträumen des Abtes. Wie es sich für eine Inkarnation geziemte, bewohnte er den obersten Stock, so dass niemand höher stehen oder sitzen konnte als er.
Offenbar ließen sie mehr als nur den unteren Teil des Klosters hinter sich. Sie betraten eine andere Welt. Am Ende der Treppe blickte man durch ein großes Fenster hinaus über den Pass. Es war nicht, wie in Tibet üblich, mit Wachspapier verkleidet, sondern hatte echte Glasscheiben, die man den langen Weg von Indien hierhertransportiert haben musste. Christopher blieb stehen, um Atem zu schöpfen, und schaute hinaus. Gleißendes Sonnenlicht lag über den Bergspitzen, die still aus dem weißen Schnee ragten. Er fühlte sich eingesperrt, ein Gefangener an diesem düsteren Ort ohne Luft und Sonne.
Der Verwalter ließ ihn durch eine Tür mit riesigen Bronzeringen gehen, die mit farbigen Bändern umwunden waren. Über der Tür erblickte er eine für ihn unverständliche Inschrift in chinesischen Zeichen. War das der Name eines Kaisers, eine Lobpreisung oder eine Warnung?
Die Tür schloss sich hinter ihnen. Nun standen sie in einem quadratischen Zimmer, das mit bemalten Käfigen vollgestellt war, in denen Vögel aller Größen herumhüpften und -flatterten. Ihr Gezwitscher erfüllte den Raum, hallte in seltsamen Echos von Decke und Wänden wider. Da gab es blaue Tauben und Rotschwänzchen, graue und rote Braunellen, Schneetauben, Drosseln, Finken und Kanarienvögel aus China, grellbunte Sittiche aus Indien und zwei Paradiesvögel mit Federn in allen Farben des Regenbogens. Die Gefieder schillerten im Licht der Lampen und warfen bunte Reflexe auf die rohen Wände. Bei alledem war der Raum ein Gefängnis, eine Zelle, in der all die Farbenpracht von Holzund Draht gedämpft wurde. Als Christopher hindurchging, schlugen überall schwere Flügel gegen Gitterstäbe, erhob sich ein wildes Flügelklatschen, das auf ihn wirkte wie ein Alptraum. Der Begleiter öffnete die nächste Tür und führte Christopher in ein anderes Gemach.
Hier standen dicht an dicht übermannsgroße und entsprechend dicke Flaschen – Terrarien, in denen Pflanzen aus den Dschungeln des Tieflandes wuchsen. Jedes war ein eigenes Reich, eingeschlossen in einen Kreislauf von Wachsen und Vergehen. Zwischen den Pflanzen taumelten riesige Schmetterlinge auf und nieder, schlugen stumm gegen die Glaswände oder flatterten ruhelos von Blüte zu Blüte. Noch ein Gefängnis, noch mehr Zellen. Durch Glasschächte in der Decke fiel Licht ein, und die Pflanzen drängten nach oben, um so viel Leben einzusaugen, wie die spärlichen Sonnenstrahlen ihnen boten.
Sie schritten durch weitere Räume, einer bizarrer als der andere. In einem
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