Der neunte Buddha - Thriller
Windschutzscheibe sanken.
»Ich will Ihnen genau schildern, was geschehen ist«, sagteChristopher schließlich. Ausführlich beschrieb er den Vorfall vom Sonntagabend. Als er geendet hatte, wandte er sich Winterpole zu.
»Ich bin kein reicher Mann«, sagte er. »Es hat auch keine Lösegeldforderung gegeben. Die Männer, die meinen Sohn entführt und Pater Middleton getötet haben, waren Russen, dafür wette ich meinen Kopf. Wenn das zutrifft, dann muss es eine Verbindung zu Ihnen geben. Ob es sich nun um Weiße, Rote oder Leute einer anderen Farbe handelt, sie können nicht in diesem Lande sein, ohne dass Sie etwas davon wissen. Und wenn Sie involviert sind, wird die Verbindung zu mir verständlich.«
»Ich bin nicht involviert, Christopher, das versichere ich Ihnen.«
»Tut mir leid«, erwiderte Christopher. »Vielleicht ist ›involviert‹ nicht das richtige Wort. Hätte ich ›verwickelt‹ sagen sollen? Oder ist ›informiert‹ zutreffender?«
Winterpole schwieg eine Weile. So viel hing davon ab, wie er sich ausdrückte. In diesem Geschäft war die Wahl des richtigen Wortes oft wichtiger als die Wahl der richtigen Waffe. Das Leben eines Menschen konnte davon abhängen. Oder mehrerer Menschen. Winterpole sah sich als General, wenn auch seine Truppen gering an Zahl waren und leicht verschlissen. Er schob sie hin und her wie winzige Schachfiguren auf einem riesigen geneigten Brett, wie kleine Bauern aus Glas, die auf der schiefen Ebene verzweifelt nach Halt suchten: eine Armee von Glasfiguren, zerbrechlich, verraten und träumend.
»Ich denke«, sagte er schließlich gedehnt, »dass ich Ihnen vielleicht helfen kann. Und dass Sie mir helfen können.«
»Sie meinen, das ist der Preis, den ich zahlen muss, wenn ich William lebend wiedersehen will?«
Darauf antwortete Winterpole nicht. Nachdenklich zog eran seiner Zigarette. Dann kurbelte er das Fenster herunter und warf sie halb geraucht hinaus. Langsam schloss er das Fenster wieder. Im Wagen war es plötzlich kalt.
»Sagen Sie mir bitte«, kam es nun von Winterpole, »haben Sie je von einem Mann namens Samjatin gehört? Nikolai Samjatin?«
4
»Samjatin«, hub Winterpole an, »ist wahrscheinlich der gefährlichste Agent der Bolschewiken, der gegenwärtig im Fernen Osten operiert. Er ist eine wichtige Figur in der Komintern, der Kommunistischen Internationale, die die Partei im März letzten Jahres gegründet hat, um die Vorbereitung der Weltrevolution zu koordinieren. In Moskau ist er Trotzkis Graue Eminenz. Im Osten handelt er fast völlig selbständig. Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass es ohne Samjatin keine bolschewistische Politik in der Region gäbe. Um ehrlich zu sein: Ohne ihn könnte ich nachts ruhiger schlafen.«
Und ohne Simon Winterpole, dachte Christopher bei sich, könnten viele andere Leute besser schlafen.
»Was hat das, was Sie mir da erzählen, mit mir oder dem Verschwinden meines Sohnes zu tun?«, fragte er. »Ich kenne diesen Nikolai Samjatin nicht. Ich habe nie von ihm gehört und er bestimmt auch nicht von mir.«
Winterpole warf Christopher einen Blick zu.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, warf er ein.
Etwas an Winterpoles Tonfall ließ Christopher aufhorchen. Wie ein Schwimmer, der zum ersten Mal spürt, wie eine verborgene Strömung ihn nach unten ziehen will, hatte er plötzlich das Gefühl, von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden. Er wollte aufschreien, sich dagegen wehren, inWellen zu ertrinken, die er vielleicht selbst aufgewühlt hatte, aber seine Glieder waren verkrampft und seine Kehle heiser von der kalten Nachtluft.
»Fahren Sie fort«, sagte er nur.
»Samjatin ist zur Hälfte Russe, zur Hälfte Burjate. Sein Vater war Graf Pjotr Samjatin, ein reicher Grundbesitzer aus Tscheremchowo, das liegt nördlich vom Baikalsee. Seine Mutter war eine Burjatin, die auf dem Gut seines Vaters arbeitete. Beide leben nicht mehr. Nikolai wurde um 1886 geboren. Er muss also um die vierunddreißig Jahre alt sein.
Als Kind stand ihm eine kleine Geldsumme zur Verfügung, die ausreichte, um in Irkutsk zu erwerben, was man damals für Bildung hielt. Aber ihm wurde bald klar, dass er aus dem Erbe seines Vaters keine Kopeke zu erwarten hatte. Bereits mit sechzehn war er aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands in der Region, der Vorläuferin der Kommunistischen Partei. Mit kaum zwanzig ging er nach Moskau. Als die russische Revolution ausbrach, war er um die dreißig Jahre alt. Der Rat der
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