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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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verbrachte einen Monat ihrer Sommerferien bei Onkel Zen, und bei den Saft-Bäumen gefiel es ihr ungemein. Ihr Vater war Holbrooks älterer Bruder. Holbrook hatte Naomi vorher erst zweimal gesehen und war vor ihrem Eintreffen ein wenig nervös gewesen, weil er von Kindern nichts verstand und keinen Wert auf Gesellschaft legte. Er hatte die Bitte seines Bruders aber nicht abgeschlagen, und außerdem war Naomi kein Kind. Sie drehte sich um, und auf den Bildschirmen sah er apfelrunde Brüste, einen flachen Bauch, tiefliegenden Nabel und feste, glatte Schenkel. Fünfzehn. Kein Kind. Eine Frau. Ihre Nacktheit war natürlich; sie schwamm jeden Morgen so und wußte, daß es Kameras gab. Holbrook war nicht ganz ohne Verlegenheit. Darf ich da hinsehen? Eigentlich nicht. Ihr Anblick erregte ihn verdächtig. Zum Teufel damit, ich bin ihr Onkel. In seinem Gesicht zuckte ein Muskel. Er sagte sich, seine einzigen Empfindungen seien Vergnügen und Stolz darauf, daß sein Bruder etwas so Schönes hervorgebracht hatte. Nur Bewunderung; das war alles, was zu fühlen er sich gestattete. Sie war gebräunt, honigfarben, mit Inseln von Rosarot und Gold. Holbrook drückte auf den Knopf. Ich war zu lange allein. Meine Nichte. Meine Nichte. Eine Halbwüchsige. Fünfzehn. Wunderschön. Er schloß die Augen, öffnete sie halb, kaute an der Lippe. Los, Naomi, zieh dich an!
    Als sie ein kurzes Höschen und Oberteil anlegte, war das wie eine Sonnenverfinsterung. Holbrook schaltete ab, ging hinunter und nahm unterwegs ein paar Frühstückskapseln mit. Ein funkelndes kleines Gefährt rollte aus der Garage; er sprang hinein und fuhr hin, um sie zu begrüßen.
    Sie war immer noch am Fluß und spielte mit einem kätzchengroßen, vielbeinigen, bepelzten Wesen, das sich an einem Strauch festklammerte.
    »Schau dir das an, Zen!« rief sie. »Ist das eine Katze oder eine Raupe?«
    »Weg davon!« schrie er so heftig, daß sie erschrocken zurückprallte. Seine Nadelpistole war schon gezogen, der Finger am Abzug. Das kleine Tier wand unbekümmert Beine um Zweige.
    Naomi umklammerte seinen Arm und sagte heiser: »Nicht töten, Zen. Ist es gefährlich?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Bitte, bring es nicht um.«
    »Erste Regel auf diesem Planeten«, sagte er. »Alles mit Wirbelsäule und mehr als einem Dutzend Beinen ist wahrscheinlich tödlich.«
    »Wahrscheinlich!« Spottend.
    »Wir kennen hier noch immer nicht alle Tiere. Das hier habe ich vorher noch nie gesehen, Naomi.«
    »Es ist zu süß, als daß man es töten dürfte. Steckst du die Waffe nicht weg?«
    Er schob sie ins Halfter und trat an das Tier heran. Keine Krallen, kleine Zähne, schwacher Körper. Schlechte Zeichen: ein solches Wesen hatte keine sichtbaren Möglichkeiten, sich am Leben zu erhalten, also sprach einiges dafür, daß es einen Giftstachel im Pelzschwanz verbarg. Die meisten der Vielbeiner hier hatten ihn. Holbrook hob einen meterlangen Zweig auf und stach damit nach dem Bauch des Tieres.
    Schnelle Reaktion. Ein Zischen und Fauchen, das Hinterteil fuhr herum, peng!, und ein gefährlich aussehender Stachel fuhr in die Rinde des Zweiges. Als sich der Schwanz zurückzog, tröpfelte rötliche Flüssigkeit herunter. Holbrook trat zurück; das Tier beäugte ihn argwöhnisch und schien ihn in Reichweite locken zu wollen.
    »Niedlich«, sagte Holbrook. »Süß. Naomi, willst du nicht süße Sechzehn werden?«
    Sie war blaß, erschüttert, fast betäubt von der Bösartigkeit des kleinen Wesens.
    »Es wirkte so sanft«, sagte sie. »Fast zahm.«
    Er stellte die Nadelöffnung auf ›Dünn‹ und sengte dem Tier ein Loch in den Kopf. Es fiel vom Strauch, rollte sich zusammen und regte sich nicht mehr. Naomi stand mit abgewandtem Kopf dabei. Holbrook legte den Arm um ihre Schultern.
    »Es tut mir leid, Kleines«, sagte er. »Ich wollte deinen kleinen Freund nicht töten. Aber eine Minute später hätte er dich getötet. Zähl die Beine, wenn du hier mit Tieren spielst. Ich hab’ es dir gesagt. Zähl die Beine.«
    Sie nickte.
    »Besuchen wir Plato, ja?« sagte er leise nach einer Pause.
    Naomis Gesicht hellte sich sofort auf. Die andere Seite der Jugend: man stellt sich schnell um.
    Sie stellten das Fahrzeug vor dem Hain im Sektor C ab und gingen zu Fuß hinein. Die Bäume mochten motorisierte Fahrzeuge nicht; sie waren nur einige Zentimeter unter dem Lehm des Hainbodens durch einen Teppich labyrinthischer Fäden miteinander verbunden, die irgendeine neurologische Funktion erfüllten, und wenn auch

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