Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
Anreise zur ersten Etappe:
Rimini bis Dovadola
Ich hatte es, wie wir alle, noch sehr gemütlich auf der Anreise von Rimini nach Dovadola, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung. Die Rücksitzbank des vertrauten BMW meines Herrchens gehörte mir – mir ganz allein. Nur ab und zu am schaukelnden Wassernapf trinken, denn es war jetzt schon heiß am frühen Morgen, und der Tag sollte schließlich mit der ersten Etappe des Pilgerwegs beginnen. Also ausruhen, schlafen, schonen und ab und an aus dem Fenster die vorbeifliegende Landschaft betrachten. Eine Umgebung, die mir nicht unbekannt ist. Ich kann sie riechen, die Düfte meiner Kindheit. Ich kann sie verstehen, die spärlichen Wortfetzen, die durch die offene Rückscheibe ins Innere des Wagens dringen. Rimini, Forli, Dovadola. Die Namen sind mir vertraut, denn ich bin Italiener – Italiener von Geburt und auch als Wahlösterreicher immer noch mit Herz und Seele: geboren und aufgewachsen in der Poebene. Nicht so weit weg von der Emilia Romagna, die wir gerade durchqueren. Es war in Castagnaro, einem wirklich kleinen, verträumten Dorf in dieser für einen Welpen schier endlos anmutenden Flussebene. Zur besseren Visualisierung für Nichtortskundige stelle man sich das berühmte Dorf von Don Camillo und Peppone vor. Obwohl 100 Kilometer von meinem Geburtsort entfernt, herrscht dort nicht nur das gleiche Klima, es sieht dort auch genauso aus. So, wie eben fast jedes Dorf in der Poebene aussieht. Beschaulichkeit, Ruhe und manchmal auch unerträgliche Tristesse. An und für sich ein Paradies für Welpen. Hätte es da nicht zu viele von uns gegeben. Hundsein hat in der Region, ebenso wie in Spanien oder Griechenland, unter diesen Umständen eine völlig andere Wertigkeit. Härter ausgedrückt: keine.
Wir waren fünf Geschwister. Zu viele für diese Gegend, zu viele für einen Hof. Normalerweise, das mag jetzt sehr hart und brutal klingen, wird ein so großer, noch dazu ungeplanter Wurf von den Besitzern kurzum „entsorgt“. Und eigentlich hätten wir fünf allesamt gleich nach der Geburt im ewigen Hundehimmel landen sollen. Normalerweise. Wäre da nicht unsere sehr, sehr schlaue Mutter gewesen: Lady, eine wunderschöne, gutmütige und gelungene Mischung aus Maremmaner, diesem anmutigen und fleißigen Abruzzen-Schäferhund, und Border-Collie. Ursprünglich stammte sie aus einem Tal in den Dolomiten und wurde erst später in der Poebene ansässig. Meinen Vater kannte ich aufgrund spärlichster Besuche kaum. Filippo hat man ihn gerufen, diesen sehr schönen, weißen Labrador von einem der benachbarten Bauernhöfe. Er muss ein ziemlicher Filou gewesen sein. Die genaue Anzahl meiner Halbgeschwister, die heute noch in der Poebene oder sonstwo leben, ist mir nicht bekannt.
Aber zurück zu meiner Mutter, der weitsichtigen, klugen Hündin. Wohl wissend, was mit unerwünschten Welpen in dieser Region passieren würde, hat sie sich völlig unbemerkt kurz vor unserer Geburt in ein Erdloch verkrochen. Direkt unter dem brüchigen Geländer einer Veranda des alten Nebenhauses, welches nur noch bewohnt wurde, wenn Besuch kam und im Bauernhof der Platz zu eng wurde. Da waren wir nun, wir fünf, und keiner wusste, dass es uns gab. Lange Zeit nicht. Bis es dann zu spät war. An einem warmen, sonnigen Märztag machten wir Geschwister einen kollektiven, unerlaubten Ausflug in das weitläufige Kanalsystem rund um den Hof, und prompt wurden wir entdeckt. Die Überraschung für die Bauersleute war groß, aber auch die Freude. Denn Gott – oder auch Franziskus – sei Dank hatten unsere Frauchen und Herrchen, also alle Menschen, die da so auf dem Bauernhof lebten, immer schon ein Herz für Tiere und für Hunde im Speziellen. Alle fünf konnten wir allerdings nicht bleiben. Zu viele Hunde verunsicherten schon die Gegend und wollten auch gefüttert werden. Also wurden wir im Freundes- und Bekanntenkreis angepriesen und verschenkt. Das ursprünglich geheime Erdloch leerte sich im Laufe der Wochen, und meine Geschwister fanden alle ein neues Zuhause. Alle bis auf mich. Ich soll der kleinste und zarteste Hund gewesen sein. Das Fell, im Gegensatz zu den anderen Welpen, kurz und so ganz ohne Anzeichen vom Zottelhaar des Maremmanen. Ein Sonderling, ein Außenseiter, der immer etwas abseits von den anderen vorsichtig seine Runden drehte, und dann plötzlich ganz einsam, verlassen von den Geschwistern. Keine Spielgefährten, keinen Gesprächspartner außer meiner liebevollen Mutter. Dieser unerträgliche
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