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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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jeden Abend um zehn telefonisch melden. Als er am Dienstagabend nicht angerufen hat, war sein Führungsoffizier nicht übermäßig besorgt. Grigorij hat jeden Dienstagabend in einem kleinen Club in Bloomsbury Schach gespielt. Letzten Dienstag wurde dort die Clubmeisterschaft ausgetragen. Grigorij hätte sie mit links gewinnen müssen.«
    »Ich wusste gar nicht, dass er Schach spielt.«
    »Wahrscheinlich hatte er keine Gelegenheit, das an jenem Abend, den ihr gemeinsam in den Vernehmungsräumen der Lubjanka verbracht habt, zu erwähnen. Er war zu sehr mit der Frage beschäftigt, wie ein mittlerer Beamter des israelischen Kultusministeriums es geschafft hatte, zwei tschetschenische Auftragskiller zu entwaffnen und zu erledigen.«
    »Soweit ich mich erinnere, Uzi, wäre ich ohne Schamron und dich nicht in dem Treppenhaus gewesen. Das war einer dieser kleinen Rein-und-raus-Jobs, die ihr euch immer so schön einfach ausmalt. Die Art von Job, bei dem angeblich alles glattgehen wird. Bei dem angeblich keinem etwas passieren wird. Aber irgendwie scheint das nie wirklich aufzugehen.«
    »Manche Männer werden groß geboren. Andere kriegen immer die großartigen Aufträge vom King Saul Boulevard.«
    »Aufträge, durch die sie in einer Kellerzelle der Lubjanka landen. Und wäre Oberst Grigorij Bulganow nicht gewesen, wäre ich dort niemals lebend rausgekommen. Er hat mir das Leben gerettet, Uzi. Zwei Mal.«
    »Ich weiß«, bestätigte Navot sarkastisch. »Das wissen wir alle.«
    »Wieso haben die Engländer uns nicht früher informiert?«
    »Sie hielten es für denkbar, dass Grigorij spontan eine kleine Reise unternommen hatte. Oder dass er sich mit irgendeiner Frau in einem kleinen Hotel am Meer einquartiert hatte. Bevor sie Alarm schlugen, wollten sie sicherstellen, dass er tatsächlich verschwunden war. Er ist weg, Gabriel. Und der Ort, an dem er zuletzt gesehen wurde, war dieses Auto auf der Harrow Road. Als wäre es ein Portal ins Nichts gewesen.«
    »Das war es bestimmt. Haben sie schon eine Theorie?«
    »Allerdings. Und ich fürchte, dass sie dir nicht gefallen wird. Hör zu, Gabriel, die Mandarine der britischen Geheimdienste sind zu dem Schluss gelangt, Oberst Grigorij Bulganow sei erneut übergelaufen.«
    »Erneut übergelaufen? Das kann nicht dein Ernst sein!«
    »Doch, das ist es. Und außerdem glauben sie jetzt, dass er die ganze Zeit über ein Doppelagent war. Sie glauben, er sei in den Westen gekommen, um uns lauter russischen Scheiß einzutrichtern und Informationen über die russische Dissidentenszene in Moskau zu sammeln. Und nach erfolgreicher Arbeit ist er jetzt ausgeflogen, um sich daheim als Held feiern zu lassen. Und rate mal, wen sie für diese Katastrophe verantwortlich machen?«
    »Den Mann, der Grigorij überhaupt erst in den Westen gebracht hat.«
    »Richtig. Sie geben die Schuld dir. «
    »Wie praktisch. Aber Grigorij Bulganow ist so wenig ein russischer Doppelagent wie ich. Die Engländer haben sich diese lächerliche Theorie zurechtgelegt, um die Schuld an seinem Verschwinden auf mich abzuwälzen. Sie hätten ihm niemals erlauben dürfen, ganz offen in London zu leben. Den ganzen Herbst über konnte man weder BBC noch CNN International einschalten, ohne sein Gesicht zu sehen.«
    »Was ist ihm deiner Meinung nach zugestoßen?«
    »Er ist ermordet worden, Uzi. Oder ihn hat’s noch schlimmer erwischt.«
    »Was könnte schlimmer sein, als von russischen Auftragskillern umgelegt zu werden?«
    »Von Iwan Charkows Leuten entführt zu werden.« Gabriel blieb auf der menschenleeren Gasse stehen und blickte Navot an. »Aber das weißt du selbst, Uzi. Sonst wärst du nicht hier.«

6 A MELIA , U MBRIEN
    Sie folgten den schlangenförmigen Gassen zu der Piazza am höchsten Punkt der Stadt hinauf und blickten auf die Lichter hinab, die wie Topase und Granate auf dem Talboden leuchteten. Die beiden Leibwächter warteten außer Hörweite auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Einer hielt sich sein Handy ans Ohr, der andere ein Feuerzeug an seine Zigarette. Als Gabriel die Flamme sah, blitzte in seiner Erinnerung ein Bild auf. Er fuhr im Morgengrauen auf dem Beifahrersitz eines viertürigen Wolgas durch die nebelverhangenen Weiten Westrusslands: mit pochenden Kopfschmerzen, sein rechtes Auge mit einem primitiven Verband bedeckt. Auf dem Rücksitz schliefen zwei schöne Frauen wie kleine Kinder. Eine war Olga Suchowa, die berühmteste investigative Journalistin Russlands. Die andere war Elena Charkowa, die

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