Der Oligarch
Ehefrau von Iwan Borisowitsch Charkow: Oligarch, Waffenhändler, Mörder. Am Steuer, mit einer brennenden Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, saß Grigorij Bulganow. Er sprach leise, um die Frauen nicht zu wecken, hielt dabei seinen Blick auf die endlos lange russische Straße gerichtet.
Wissen Sie, was wir mit Verrätern machen, Gabriel? Wir führen sie in einen kleinen Raum, in dem sie sich hinknien müssen. Dann schießen wir ihnen mit einer großkalibrigen Pistole ins Genick. Wir stellen sicher, dass das Geschoss durchs Gesicht austritt, damit es für die Angehörigen nichts mehr zu sehen gibt. Dann werfen wir die Leiche in ein anonymes Grab. Seit dem Niedergang des Kommunismus hat sich in Russland viel verändert. Aber die Strafe für Verrat ist noch immer dieselbe. Eines müssen Sie mir versprechen, Gabriel. Versprechen Sie mir, dass ich nicht in einem namenlosen Grab enden werde.
Gabriel hörte plötzlich Flügelrauschen, hob den Kopf und sah einen Krähenschwarm, der krächzend den romanischen Campanile am Rand der Piazza umkreiste. Als Nächstes hörte er wieder Uzi Navots Stimme.
»Auf eines kannst du dich verlassen, Gabriel. Der Einzige, auf den Iwan Charkow es noch mehr abgesehen hat als auf Grigorij, bist du. Und wer könnte ihm das verübeln? Erst hast du ihm seine Geheimnisse gestohlen. Dann hast du ihm seine Frau und seine Kinder gestohlen.«
»Ich habe nichts gestohlen. Elena wollte überlaufen. Ich habe ihr nur geholfen.«
»Ich bezweifle, dass Charkow das genauso sieht. Und der Memuneh tut’s auch nicht. Der Memuneh denkt, dass Charkow wieder im Geschäft ist. Der Memuneh glaubt, dass Charkow seinen Eröffnungszug gemacht hat.«
Gabriel erwiderte nichts. Navot schlug seinen Mantelkragen hoch.
»Du erinnerst dich vermutlich, dass wir im vergangenen Herbst Gerüchte gehört haben, Charkow habe aus Leuten seines privaten Sicherheitsdiensts eine Spezialeinheit aufgestellt. Diese Einheit hat einen sehr einfachen Auftrag: Elena finden, seine Kinder zurückholen und alle erledigen, die an dem Unternehmen gegen ihn beteiligt waren. Wir haben leider geglaubt, Charkows Zorn sei inzwischen verraucht. Aber Grigorijs Verschwinden beweist das Gegenteil.«
»Charkow findet mich nie, Uzi. Nicht hier.«
»Würdest du dein Leben darauf verwetten?«
»Nur fünf Menschen wissen, dass ich im Land lebe: der italienische Ministerpräsident, die Chefs seiner Nachrichten- und Sicherheitsdienste, der Papst und sein Privatsekretär.«
»Das sind fünf zuviel.« Navot legte Gabriel eine Pranke auf die Schulter. »Hör mir bitte gut zu. Ob Grigorij Bulganow London freiwillig verlassen hat oder verschleppt worden ist, spielt keine große Rolle. Du bist eindeutig gefährdet, Gabriel. Und du reist noch heute Abend mit mir ab.«
»Ich bin schon früher gefährdet gewesen. Außerdem kennt Grigorij weder meine Legende noch meinen Wohnort. Er kann mich nicht verraten – und das weiß Schamron genau. Er benutzt Grigorijs Verschwinden als neuesten Vorwand, um mich nach Israel zurückzuholen. Bin ich erst mal dort, steckt er mich in Einzelhaft. Und ich wette, dass er einen Ausweg parat hat, wenn er glaubt, mich weich gekocht zu haben. Ich werde Direktor, und du leitest die Operationsabteilung. Und Schamron kann in Frieden und in dem Bewusstsein sterben, dass seine beiden Lieblingssöhne endlich an der Spitze seines geliebten Diensts stehen.«
»Schon möglich, dass das Schamrons langfristiger Plan ist, aber im Augenblick macht er sich nur Sorgen um deine Sicherheit. Er hegt keine Hintergedanken.«
»Schamron ist voller Hintergedanken, Uzi. Und du natürlich auch.«
Navot nahm die Hand von Gabriels Schulter. »Tut mir leid, aber ich diskutiere nicht mit dir, Gabriel. Du wirst vielleicht mal mein Boss, aber im Augenblick befehle ich dir, Italien zu verlassen und heimzukommen. Du hast doch nicht etwa vor, einen weiteren Befehl zu verweigern?«
Gabriel gab keine Antwort.
»Du hast zu viele Feinde, um allein in der Welt bestehen zu können, Gabriel. Du glaubst wahrscheinlich, dass dein Freund, der Papst, dich beschützen kann, aber du irrst dich. Du brauchst uns so sehr wie wir dich. Außerdem sind wir die einzige Familie, die du hast.«
Navot lächelte wissend. Die unzähligen Stunden, die er in Konferenzräumen am King Saul Boulevard verbracht hatte, hatten seine rhetorischen Fähigkeiten erheblich verbessert. Er war jetzt ein ernstzunehmender Gegner, vor dem man aufpassen musste.
»Ich arbeite an einem
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