Der Orden
wandte sich ab und floh.
Aetius packte Regina und nahm sie in die Arme, und so sehr sie sich auch wehrte und weinte, er ließ sie nicht los, sodass sie ihrer Mutter nicht nachlaufen konnte.
4
Ich blieb noch zweiundsiebzig Stunden in Manchester. Ich holte die Schachteln mit den Geschäftsunterlagen meines Vaters vom Dachboden. Unten im Haus fand ich noch einige weitere Akten. Er hatte nach seiner offiziellen Pensionierung tatsächlich weitergearbeitet und für Freunde und ehemalige Klienten, mit denen er noch in engem Kontakt stand, ein bisschen Buchhaltung gemacht. Meist ging es dabei um kleine Projekte in der Baubranche.
Ich verbrachte fast einen ganzen Tag damit, das Material durchzusehen, um eventuell noch laufende Vorgänge zum Abschluss zu bringen. Mein Vater hatte einige wenige Arbeiten nicht mehr beendet und ein paar Honorare nicht mehr in Rechnung gestellt, aber es handelte sich dabei nur um kleine Beträge, und alles ließ sich gütlich regeln. Schließlich hatte ich nur noch eine kurze Liste mit Bitten um die Rückgabe von Unterlagen vor mir liegen. Bei den Klienten handelte es sich größtenteils um seine Freunde – ein paar davon kannte ich selbst –, und die meisten hatten noch nichts von seinem Tod erfahren. Die Telefongespräche waren schmerzhaft, und die Reaktionen seiner Freunde machten mir wieder bewusst, wie kurz das alles erst zurücklag.
Ich sah Dads letzte Kontoauszüge durch und fand darin Auslandsüberweisungen, teilweise in Höhe von über tausend Pfund. Die Beträge gingen jeden Monat ab, für gewöhnlich in der ersten Woche. Ich hatte keine Ahnung, worum es sich dabei handelte, und erwog, in der Bankfiliale anzurufen; ob sie mir wohl sagen würden, was da los war?
Aber dann stieß ich auf einen früheren Monat in diesem Jahr ohne die regelmäßige Auslandsüberweisung. Es sah Dad nicht ähnlich, eine solche Lücke zu lassen; dazu war er viel zu gewissenhaft. Aus einem spontanen Impuls heraus überprüfte ich seine Scheckabschnitte. Und siehe da, einem war zu entnehmen, dass er in einer Wechselstube in einem der Bahnhöfe von Manchester Euros im Wert von tausend Pfund gekauft hatte – diese Transaktion war auf dem Kontoauszug verzeichnet. Auf die Rückseite des Abschnitts hatte er in seiner ordentlichen Handschrift geschrieben: »Märzzlg. für Maria Kgn d Jngfrn, überfällig.« Ich stellte mir vor, wie er die Banknoten in einen Umschlag gesteckt und in den Briefkasten geworfen hatte – eine unkluge Art, mit Geld umzugehen, aber schnell und effektiv.
»Maria Kgn d Jngfrn.« Für das Auge eines katholischen Jungen dechiffrierte sich diese kryptische Notiz sofort: Maria, Königin der Jungfrauen. Aber ich hatte keine Ahnung, was das war – eine Kirche, ein Krankenhaus, ein Wohltätigkeitsverein? –, und ich wusste auch nicht, weshalb Dad ihnen so lange so viel Geld hatte zukommen lassen. In seiner Korrespondenz fand ich sonst nichts, was mir irgendwelche Hinweise gegeben hätte. Ich machte mir im Geist eine Notiz und verspürte eine vage Entschlossenheit, der Sache nachzugehen und den Kontakt zu beenden.
Mit dem persönlichen Kram war es natürlich schwieriger als mit den finanziellen Angelegenheiten.
An mehreren Stellen im Haus stieß ich auf Fotos: die gerahmten Familienporträts auf der Kommode, die alten Alben im Esszimmerschrank. Ich blätterte die Alben in der umgekehrten zeitlichen Reihenfolge durch. Bald wichen die großen, farbigen Hochglanzrechtecke viel kleineren Schwarzweißbildern, die eher so aussahen, als wären sie vor dem Krieg entstanden und nicht Anfang der Sechzigerjahre, dann versiegten die Fotos allmählich ganz. Es waren überraschend wenige – in meiner Kindheit beispielsweise nur ein oder zwei von mir pro Jahr, aufgenommen zu solch wesentlichen Momenten wie Weihnachten, den Sommerferien mit der Familie, dem ersten Tag in der neuen Schule. Im Vergleich zur heutzutage produzierten Bilderflut wirkte das wie ein ärmliches Rinnsal. Doch während ich durch diese Portale in längst vergangene sonnige Nachmittage der Sechzigerjahre blickte, wurde mir klar, dass ich in meinen Erinnerungen an große Momente wie den Tag, an dem die Stützräder von meinem Fahrrad abmontiert wurden, das Gesicht meines Vaters vor mir sah und nicht ein auf mich gerichtetes Objektiv.
Ich versuchte, mit dem groben Besen zu kehren. Die katholischen Paraphernalien bekam die Gemeinde. Den größten Teil von Dads persönlichen Sachen brachte ich in Wohltätigkeitsläden. Ich
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