Der Orden
eine lange Nacht gewesen. Draußen war es heiß und viel schwüler als am Vortag, und Regina fragte sich, ob es ein Gewitter geben würde.
Sie aß das Frühstück aus Früchten und Haferflocken, das Carta ihr brachte. Heute würde der Unterricht ausfallen, ein kleines Geschenk für sie, weil ihre Mutter Geburtstag hatte. Carta, die genauso bleich war wie tags zuvor, bemühte sich, Regina mit Spielen abzulenken. Aber heute kamen ihr die Terrakotta-Puppen und die kleinen, aus Gagat gemeißelten Tiere kindisch vor und ließen sie kalt. Carta holte einen Holzball, aber sie konnten keinen Dritten für ein trigon-Spiel finden, und den Ball immer nur hin und her zu werfen, war witzlos. Außerdem war es zu heiß für solche Aktivitäten.
Gelangweilt und unruhig streifte Regina umher, gefolgt von einer müden Cartumandua. Sie fand weder ihre Mutter noch Aetius, aber schließlich stieß sie auf ihren Vater. Er saß im Wohnzimmer, umgeben von seinen Papyrusrollen und Tontafeln, und sprach mit einem Pächter, einem gedrungenen, bärtigen Mann in dunkelbrauner Tunika und Kniehose. Regina lugte durch ein unverglastes Fenster; Marcus bemerkte sie nicht.
Er war genauso blass wie Carta und noch angespannter als sonst, während er sich über seine Zahlenkolonnen beugte. Die Sommersonnenwende war das Ende des Pachtjahres, der Zeitpunkt, an dem Marcus die ihm für sein Land zustehende Pacht und obendrein die Steuern für den Kaiser eintrieb. Aber es gab offenbar Schwierigkeiten.
Der Bauer sagte mit seinem starken Akzent: »Wir haben den Mann des Kaisers schon über ein Jahr – wahrscheinlich zwei Jahre lang – nicht mehr gesehen.«
»Ich habe die Steuer aufbewahrt, die du mir bezahlt hast, und werde sie ihm bei seinem nächsten Besuch pflichtgemäß übergeben«, sagte Marcus verbissen. »Selbst wenn das System manchmal… äh… ineffizient ist, musst du deine Steuern zahlen, Trwyth. Genauso wie ich. Das ist dir doch klar, oder? Wenn wir keine Steuern entrichten, kann der Kaiser seine Soldaten nicht bezahlen. Und was würde dann aus uns? Die Barbaren – die bacaudae – die Sachsen, die die Küsten überfallen…«
»Ich bin kein grüner Junge, Marcus Apollinaris«, knurrte der Bauer, »und du erweist mir keinen Respekt, indem du mich wie einen behandelst. Außerdem haben wir genauso lange keine Soldaten mehr gesehen. Keine außer dem grauhaarigen Vater deiner Frau.«
»Sprich nicht in diesem Ton mit mir, Trwyth.« Regina sah, dass ihr Vater zitterte.
Trwyth lachte. »Ich kann mit dir sprechen, wie ich will. Wer sollte mich daran hindern – du etwa?« Er hielt ein Säckchen mit Münzen in der Hand; nun hob er es hoch und steckte es wieder in die Tasche seiner Kniehose. »Ich glaube, ich behalte das selbst, statt es dir zu geben, damit du deinen Wohlstand mehren kannst.«
Marcus versuchte, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. »Wenn du lieber in Naturalien bezahlen möchtest…«
Trwyth schüttelte den Kopf. »Ich überlasse dir meine halbe Ernte. Wenn ich keinen Mehrertrag erzielen muss, um dich und den Kaiser zu bezahlen, brauche ich nur mich selbst zu ernähren. Was für eine Erleichterung das sein wird! Und wenn du Hunger hast, Marcus Apollinaris, iss doch die gemalten Maiskolben an deinen Wänden. Sag mir Bescheid, wenn der Kaiser das nächste Mal vorbeikommt, dann erweise ich ihm meinen Respekt. Bis dahin: Ein Glück, dass wir ihn los sind.«
Marcus erhob sich unsicher. »Trwyth!«
Der Bauer schnaubte höhnisch, kehrte ihm herausfordernd den Rücken zu und ging hinaus.
Marcus setzte sich. Er versuchte sich durch die Zahlenkolonnen auf seiner Tontafel zu arbeiten, gab jedoch rasch auf und ließ die Tafel zu Boden fallen. Schließlich beugte er sich vornüber und zupfte mit den Fingern an seinem Gesicht, seinem Kinn und seinem Hals, als wollte er sich auf diese Weise trösten.
Regina konnte sich nicht entsinnen, dass ein Pächter schon einmal so mit ihrem Vater gesprochen hatte. Zutiefst beunruhigt zog sie sich zurück. Cartumandua folgte ihr lautlos. Ihr breites Gesicht zeigte keinerlei Regung.
Sie liefen ziellos im Hof umher. Es war immer noch unerträglich heiß, und von ihrer Mutter war immer noch nichts zu sehen. Regina sehnte sich mehr denn je nach einer Ablenkung von ihren Eltern und deren unbegreiflichen, unendlich verwirrenden Problemen. Beinahe vermisste sie ihre Unterrichtsstunden: Ihr dünner, konzentrierter junger Hauslehrer mit seinen Schriftrollen, Schiefer- und Tontafeln hätte ihr
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