Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
auf die so gut wie jeder Internet-Nutzer täglich zugreift, eine reine und schöne Mathematik zugrunde. Es gibt eine ganze Disziplin namens »formale Methoden«, in der man festlegt, was man erreichen will, und ein Programm schreibt, das in sich selbst der Beweis dafür ist, dass es genau das Gewünschte tun wird.
    Dieser Traum stand am Anfang meiner beruflichen Laufbahn – zuerst in Manchester und dann, unvermeidlicherweise, in London, dem Zentrum für alles in Großbritannien. Als ich es mir leisten konnte, nahm ich mir eine kleine Wohnung in Hackney und reihte mich in den grauenhaften täglichen Pendelverkehr per Bus und U-Bahn ein. Ich arbeitete zuerst in den Software-Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen und dann in unabhängigen Software-Schmieden, stellte jedoch bald fest, dass Rigorosität teuer war – nicht so teuer wie die spätere Reparatur aller Bugs, aber ein Kostenfaktor im Vorfeld, den niemand zu tragen bereit war.
    Schließlich verschlug es mich zum Testen, dem einzigen Bereich, in dem man rigoros sein soll. Für eine Weile lief alles bestens. Die damals angesagten Entwicklungsmethoden waren wenn nicht formal, so doch zumindest strukturiert und ließen sich deshalb gut überprüfen. Ich erstellte meine Testpläne für jeden erdenklichen Zustand, den die Software einnehmen konnte, mit Voraussagen über die erwarteten Reaktionen. Ich fand Fehler auf jeder Ebene, von Tippfehlern im Code über die Kompilation in Maschinencode bis zu fundamentalen Konstruktionsfehlern – aber das war in Ordnung; darin bestand meine Aufgabe, und es war befriedigend, etwas zu verbessern.
    Wir standen jedoch unter dem beständigen Druck, die Kosten für die Prüfungen zu reduzieren, deren Nutzen die Manager auf höherer Ebene nie so richtig beziffern konnten, und es gab unaufhörliche Revierkämpfe zwischen konkurrierenden Entwicklungsteams und den Testern, die gekommen waren, um »ihren« Code in Stücke zu reißen. Ich wurde von Entwicklungsmanagern umgangen, die damit prahlen konnten, dass sie etwas entwickelten, was direkten Nutzen für den Endverbraucher hatte – und die im Gegensatz zu mir große Etats und Teams zur Verfügung hatten.
    Nicht nur das, sie waren auch alle hoch gewachsene Männer. Es sind immer hoch gewachsene Männer, die in Managementhierarchien aufsteigen; zweifellos irgendein tief verwurzeltes Primatending. Ich bin ein Mann, war aber nie besonders groß und hatte darum von Anfang an schlechte Karten. Und die Spurenelemente meines Manchester-Akzents waren auch nicht gerade hilfreich.
    In den Neunzigerjahren gab es dann eine neue Welle von Software-Entwicklungstechniken. Die neuen Sprachen waren auf einer viel tieferen Programmierebene angesiedelt als einige der früheren: das heißt, näher an der Maschine. Als Entwickler konnte man alle möglichen fantastischen Wunder abliefern. Aber der Code war sehr kompakt, mit starken inneren Abhängigkeiten: für einen Außenseiter schwer zu lesen, schwer zu testen und nahezu unmöglich zu warten. In den Londoner Weinlokalen und Pubs der Post-Yuppie-Zeit schimpfte ich über diesen Rückzug von den mathematischen Höhen auf eine Art mittelalterlicher Handwerkskunst und die niedrigeren Standards, die er mit sich bringen würde. Aber die Zeit war gegen mich, selbst als riesige Applikationen an der Börse und im Gesundheitswesen zusammenbrachen und den Geist aufgaben, selbst als jeder Nutzer von PC-Software vor Wut über so elementare Fehler heulte, dass sie nicht einmal die unterste Inspektionsebene hätten passieren dürfen.
    Lange bevor ich die Dreißiger hinter mir ließ, geriet meine Karriere ins Stocken. Ich hatte immer noch Wahlmöglichkeiten, sogar in gewissem Sinn feste Stellen. Das Testen würde niemals ein modischer Job sein, aber ohne jegliche Testanstrengungen konnte man kaum ein respektables Software-Unternehmen betreiben.
    Und darum war ich nun bei Hyf. Ich wusste, dass ich in Wirklichkeit eine Art Totem war, die Personifizierung des illusorischen Engagements der Firma für »qualitativ hochwertige Produkte«. Aber ich blieb und war nun schon drei Jahre dort. Egal, was ich von dem Job hielt, ich musste Rechnungen bezahlen und Pensionsansprüche erwerben. Und hin und wieder einmal gelang es mir bei meiner Arbeit, etwas zu tun, was mein Bedürfnis befriedigte, aus dem Chaos Ordnung zu schaffen – wie ich noch herausfinden sollte, ein Bedürfnis, das tief in mir und meiner Familie verwurzelt war.
    Wenn ich mich in meinem Stuhl aufrichtete,

Weitere Kostenlose Bücher