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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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zumindest Gesellschaft geleistet.
    Nachdem sie im Hof drei vergebliche Runden gedreht hatte, stets mit der duldsamen Cartumandua im Schlepptau, wurde Regina von einem seltsamen Impuls erfasst. Als sie zur Tür des alten Badehauses kam, lief sie nicht wie zuvor daran vorbei, sondern bog ab und ging hindurch.
    »Regina!«, bellte Carta. »Du sollst da nicht hineingehen…«
    Und wenn schon. Ihre Mutter sollte ja auch nicht im Bett liegen, wenn die Sonne so hoch stand, ein Pächter wie Trwyth sollte dem Kaiser nicht seine Steuern vorenthalten, und am Himmel sollten auch keine sonderbaren Lichter aufleuchten. Also blieb Regina, wo sie war. Ihr Herz schlug schnell. Sie schaute sich um.
    Das Dach des Badehauses war abgebrannt; die Wände waren geschwärzt und hatten keine Fensterscheiben mehr, standen aber noch. Sie umgaben eine kleine, rechteckige Bodenfläche, die dicht mit Gras, Unkraut und kleinen blauen Wildblumen bewachsen war. Dieser verbotene Ort, den sie ihr ganzes Leben lang nicht hatte betreten dürfen, war eine Art Garten, erkannte sie, ein geheimer Garten, der sich im Dunkeln verbarg.
    »Regina.« Carta stand im Eingang und winkte sie zu sich. »Bitte. Komm zurück. Du darfst hier nicht hinein. Es ist nicht sicher. Ich bekomme Ärger.«
    Regina beachtete sie nicht. Sie ging vorsichtig weiter. Das Erdreich und das Gras unter ihren bloßen Füßen waren kalt. Hier und dort lag Schutt unter der dünnen Erdschicht – Bruchsteinblöcke von den Wänden –, aber sie konnte sie mühelos erkennen, und wenn sie ihnen auswich, war sie bestimmt nicht in Gefahr. Sie gelangte zu einer Stelle, wo Gänseblümchen, Butterblumen und Glockenblumen wuchsen. Sie kauerte sich hin, ohne darauf zu achten, dass sie sich die Knie schmutzig machte, und pflückte die kleinen Blumen. Sie hatte die vage Idee, ihrer Mutter ein Gänseblumenkränzchen zu flechten; vielleicht würde sie das aufheitern, wenn sie schließlich erwachte.
    Doch als sie die Finger in die dünne Erdschicht grub, stieß sie darunter sofort auf harten, strukturierten Stein. Das musste der Boden des Badehauses sein. Sie legte die Blumen beiseite, scharrte das Erdreich weg und förderte kleine, leuchtend bunte Fliesen zutage – das Gesicht eines Mannes, zusammengesetzt aus Steinstücken. Sie wusste, was das war; so etwas gab es auch im Wohnraum. Es war ein Mosaik, und diese Steinstücke, ziegelrot, cremeweiß, goldgelb und grau, waren tesserae. Sie scharrte weiter und krabbelte auf den Knien rückwärts, bis sie mehr von dem Bild freigelegt hatte. Ein junger Mann ritt ein dahingaloppierendes Pferd – nein, es flog, denn es hatte Flügel –, und er jagte ein Tier, ein Ungeheuer mit dem Körper einer großen Katze und einem Ziegenkopf. Neugierig kratzte sie weiteres Erdreich weg. Ein Teil des Bildes war beschädigt, die kleinen Fliesen fehlten oder waren kaputt, aber…
    »Dachte ich’s mir doch, dass ich dich hier finde. An dem einzigen Ort, wo du nicht sein sollst.« Die tiefe Stimme ließ sie zusammenzucken. Aetius war durch einen Spalt in der zerstörten Rückwand des Badehauses hereingekommen. Er stand über ihr, die Hände in die Hüften gestemmt. Er trug eine schmutzige Tunika; vielleicht war er geritten.
    Cartumandua sagte: »O Herr, Gott sei Dank. Hol sie da heraus. Sie will nicht auf mich hören.«
    Er machte eine Handbewegung, und sie verstummte. »Du bekommst keinen Ärger, Cartumandua. Ich übernehme die Verantwortung.« Er kniete sich neben Regina, und sie schaute ihm ins Gesicht; zu ihrer Erleichterung sah sie, dass er nicht allzu streng dreinblickte. »Was machst du da, mein Kind?«
    »Großvater! Schau, was ich gefunden habe! Ein Bild. Es war die ganze Zeit hier, unter dem Erdreich.«
    »Ja, es war die ganze Zeit hier.« Er zeigte auf den jungen Mann in dem Bild. »Weißt du, wer das ist?«
    »Nein…«
    »Er heißt Bellerophon. Er reitet Pegasus, das geflügelte Ross, und kämpft gegen die Chimäre.«
    »Ist da noch mehr? Hilfst du mir, es freizulegen?«
    »Ich weiß noch, was hier war«, sagte er. »Ich habe es vor dem Brand gesehen.« Er zeigte auf die vier Ecken des Raumes. »Dort waren Delfine – da, da, da und da. Und weitere Gesichter, vier an der Zahl, für die Jahreszeiten. Dies war ein Badehaus, weißt du.«
    »Ich weiß. Es ist abgebrannt.«
    »Ja. Da drüben – hinter mir – war eine Wanne in den Boden eingelassen. Geh da nicht hin; sie ist jetzt voller Schutt, aber sie ist noch da, und wenn du hineinfällst, tust du dir weh, und dann

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