Der Orden
auszustrecken; überall wimmelte es von Starbucks-Hartschaumbechern, gelben Aufklebern, Postkarten aus dem Skiurlaub und den üblichen »lustigen« Internetpornos.
Ich ging mit schnellen Schritten den Mittelgang unter der ansprechenden Architektur des gewölbten Viktorianischen Daches entlang. Ich merkte, dass ich keine große Lust hatte, mit jemandem zu reden, und den anderen ging es wahrscheinlich genauso; die meisten hatten wohl schon vergessen, weshalb ich fort gewesen war. Auf dem Weg durch den Gang stürmte wie üblich eine ganze Serie von Gerüchen auf mich ein. Der Zigarettenrauch und die Luftverbesserer-Sprays, die miteinander im Kampf lagen, wurden von starkem Kaffeegestank und den abgestandenen Dünsten des gestrigen Essens überlagert. Wenn ich spät nachts dort arbeitete, hätte ich manchmal schwören können, dass mir ein feiner, aber unverkennbarer Mandelduft in die Nase stieg.
Ich verfügte über das Privileg eines eigenen Büros, eines von mehreren an den Seitenwänden des Raumes angeordneten Kabuffs, denn ich war Manager und als solcher zuständig für die »Testkoordination«, wie wir es nannten. Ich hängte meine Jacke auf und förderte aus der untersten Schublade des Aktenschranks eine Flasche Evian zutage. Dann startete ich meinen PC und wartete, während er meine Intranet-Mail herunterlud. Ich blätterte die Schneckenpost durch: nur ein paar Werbezettel von Utility-Software-Anbietern.
Vivian Cave betrat das angrenzende Büro. Sie war Ende dreißig, vielleicht vierzig, eine mittelgroße, allmählich ergrauende Blondine. Sie erspähte mich durch die Glaswand, die uns trennte, schenkte mir ein halbes Lächeln und hob ein unsichtbares Glas an die Lippen. Später auf einen Drink? Ich winkte zurück. Klar.
Icons tüpfelten den Bildschirm. Nach vier Arbeitstagen Abwesenheit fand ich insgesamt zweiunddreißig Mails vor. Nur acht pro Tag? Und die meisten waren Routinekram über Internet-Viren, ein Angebot für ein ungebrauchtes Schnorchel-Set und stattliche elf Mails mit dem jeweils aktuellen Spielstand eines Champions-League-Spiels, die ein eifriger Zuschauer, der noch spät bei der Arbeit gewesen war, ans restliche Büro geschickt hatte. Aber nichts von meinem Vorgesetzten oder den Managern des Software-Entwicklungsprojekts, mit denen ich zusammenarbeiten sollte.
Heute also keine Arbeit für George. Ich wusste, ich sollte mich auf die Online-Berichte stürzen oder im Büro herumstürmen und Meetings anberaumen. Bei einem Posten wie meinem gehört der Kampf um Arbeit zum Job.
Ich stieß die Tür mit dem Fuß zu, setzte mich hin und nippte langsam an meinem Evian.
Ich war jetzt drei Jahre hier. Es war nicht mein erster derartiger Job. Ich war in Positionen wie diese im Großen und Ganzen genauso hineingeschlittert wie in meinen Beruf als Software-Entwickler überhaupt.
Nach dem Schulabschluss hatte ich verschwommene TV21- Träume gehegt, Wissenschaftler zu werden – vielleicht ein Astrophysiker, der die fernsten Regionen des Alls erforschte, oder ein Raumfahrtingenieur, der Raketen und Raumschiffe baute und steuerte. Ich war intelligent genug für das College, aber in keiner Weise auf das wirkliche Leben vorbereitet, und so wusch mir mein Buchhaltervater ein paarmal gründlich den Kopf, machte mich mit den Realitäten vertraut und öffnete mir die Augen dafür, dass es klug war, sich keine Chancen zu verbauen.
Ich bekam einen Studienplatz an der Warwick University, wo ich Mathe belegte. Es war eine lebhafte, freundliche Uni, der Fachbereich Mathematik war damals anregend und innovativ -Geburtsstätte der seinerzeit angesagten Katastrophentheorie –, und ich vergaß bald, aus welchen vorgeblichen Gründen ich dort war. Ich kämpfte mich gewissenhaft durch die Dickichte von Axiomen, Postulaten und Korollaren und stieß dabei rasch an meine intellektuellen Grenzen, entdeckte in mir jedoch eine profunde Wertschätzung für Logik und Ordnung.
In meinem letzten Studienjahr latschte ich zu all den Veranstaltungen mit Vertretern potenzieller Arbeitgeber, die auf Nachwuchssuche an die Uni kamen, und versuchte etwas zu finden, was sich mit diesem Interesse an mathematischer Logik vereinbaren ließ. Ich fand es in der Software-Entwicklung – was ein sarkastisches Lächeln auf die Lippen all meiner Bekannten zu zaubern pflegt, die schon einmal vor einem blauen Bildschirm mit einer rätselhaften Fehlermeldung gesessen haben.
Aber Software sollte logisch sein. So liegt etwa den relationalen Datenbanken,
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